8'414 Mittel-Thurgau-Bahn MThB (1911-2002), 1911-2002 (Hauptfonds)

Archive plan context


Identifikation

Ref. code:8'414
Title:Mittel-Thurgau-Bahn MThB (1911-2002)
Creation date(s):1911 - 2002
Entstehungszeitraum, Streudaten:1890 - 2006
Level:Hauptfonds

Umfang

Running meters:51.00
Number:603

Kontext

Provenienz:Mittel-Thurgau-Bahn
Verwaltungsgeschichte/Biografische Angaben:Geschichte/Entwicklung der Mittel-Thurgau-Bahn

Gründung
Eine erste Versammlung der Initianten für ein Bahnprojekt Wil-Weinfelden-Konstanz fand am 11. August 1890 statt. 1899 wurden Kontakte mit der Westdeutschen Eisenbahngesellschaft in Köln geknüpft, die sich für den Bau und den nachfolgenden Betrieb dieser Bahn interessierte. Die teilweise Verstaatlichung der schweizerischen Eisenbahnen hatte die Sicherung der Rickenbahn zur Folge und damit hatte das Projekt MThB seine wirtschaftliche Berechtigung erhalten. Mit dem Bundesbeschluss vom 19. Dezember 1902 wurde eine Konzession für eine Nebenbahn Wil-Weinfelden-Emmishofen (Landesgrenze) erteilt. Vom badischen Staatsministerium kam die Zusicherung, dass die Züge den Bahnhof Konstanz benutzen durften. Die Revision des thurgauischen Eisenbahngesetzes war für die Finanzierung von Bedeutung, weil dadurch die staatliche Subvention von Fr. 20'000.- auf Fr. 40'000.- erhöht wurde.
Nun konnte die Projektierung beginnen, je zur Hälfte finanziert von der Westdeutschen Eisenbahngesellschaft und den Gemeinden Wil, Weinfelden und Konstanz. Als Trägerschaft für das Unternehmen kam nur eine Aktiengesellschaft in Frage. Diese wurde am 28. April 1908 an der konstituierenden Generalversammlung in Weinfelden gegründet. Die Statuten bestimmten die Zusammensetzung des neu zu bildenden Verwaltungsrates.
Wichtige Verträge wurden mit der Stadt Konstanz und der Westdeutschen Eisenbahngesellschaft in Köln abgeschlossen, mit Konstanz über einen ungehinderten Betrieb; mit der Westdeutschen Eisenbahngesellschaft über den Bau und Betrieb der Bahn. Für 20 Jahre verpflichtete sich die Eisenbahngesellschaft, die Betriebskosten und allfällige –defizite zu übernehmen.

Planung und Bau der Bahnlinie
In der Kompetenz des Verwaltungsrates lag die Festlegung der Linienführung. Verschiedene Varianten wurden diskutiert, u.a. die Anbindung der Gemeinden Amlikon-Bissegg oder Illighausen.
Im Jahre 1909 wurde eine Grunderwerbskommission bestimmt, deren Präsident Bezirksstatthalter Wiesli aus Rickenbach war. Für den gesamten Landerwerb waren Fr. 790'000.- budgetiert. Dieser finanzielle Rahmen konnte eingehalten werden. Etappenweise wurden die notwendigen Grundstücke erworben. Vorteilhaft erwies sich, dass schon das Initiativkomitee mit den Grundeigentümern in Verhandlungen getreten war und sich Zusicherungen über die Höhe der Landabtretungspreise hatte geben lassen. So konnten in den allermeisten Fällen gütliche Vereinbarungen getroffen werden.
Als erster Abschnitt wurde der Bau der Strecke Affeltrangen-Weinfelden im Herbst 1909 in Angriff genommen. Innerhalb von nur zwei Jahren konnte die ganze Strecke fertiggestellt werden, inklusive der Viadukte und Brücken. Bei Arbeitsunfällen kamen vier Personen ums Leben, etliche wurde verletzt.
Am 19. Dezember 1911 fand die Einweihungsfeier statt und zwei Tage später konnte die MThB ihren regulären Betrieb aufnehmen.

Betrieb in den Anfangsjahren
Der erste Fahrplan sah sechs durchgehende (Wil-Konstanz) und zwei „gebrochene“ Zugverbindungen (Wil-Weinfelden/Weinfelden-Konstanz) vor. Zur Grundausrüstung der neuen Bahnverbindung gehörten neun Personenwagen, drei Gepäckwagen und 51 Güterwagen für verschiedene Zwecke. Die ersten Lokomotiven wurden von der SBB gemietet. Damit wollte man vor dem Kauf von eigenen Zugmaschinen Erfahrungen sammeln. Im Sommer 1912 wurden vier Heissdampf-Tender-Lokomotiven von der Lokomotiv- und Maschinenfabrik Winterthur angeschafft.
Im Jahre 1913 beschäftigte die MThB 83 Mitarbeiter: acht waren in der allgemeinen Verwaltung der Bahn tätig, 27 besorgten den Unterhaltsdienst, 24 den Expeditions- und Zugdienst und 24 den Fahrdienst. Die Umsatzzahlen entwickelten sich in den beiden ersten Jahren positiv. Anschliessend führte der erste Weltkrieg allerdings zu massiven Rückschlägen und hatte einen drei- bis siebenfach höheren Kohlenpreis zur Folge. Die Gesamtfahrleistung wurde deshalb bis 1919 auf knapp die Hälfte der 1913 erbrachten Transporte reduziert.

Zwischenkriegszeit und zweiter Weltkrieg
1919 wurde in Weinfelden die Liegenschaft „Comité“ erworben, um die Büros der Verwaltung besser unterbringen zu können.
Dass die MThB auch in Abhängigkeit von politischen Geschehnissen stand, die weit entfernt stattfanden, zeigte die Zwischenkriegszeit mehrmals. Die wirtschaftlichen Verhältnisse in Deutschland und die Ruhrbesetzung durch Frankreich und Belgien anfangs der 1920er Jahre hatten massive negative Auswirkungen auf den Güterverkehr der MThB. - 1931 beschloss Deutschland eine Ausreisegebühr, die sich negativ auf den Personenverkehr auswirkte. - Gleichzeitig führte die Weltwirtschaftskrise zu erheblichen Einbussen beim Güterverkehr.
Schon in den 1920er Jahren wurde der Konkurrenz durch den aufkommenden Automobil- und Lastwagenverkehr im Güterhandel grosse Aufmerksamkeit geschenkt. Anfänglich dominierten die Befürchtungen, dass der Güterverkehr mehr und mehr von Automobilen übernommen werde. Es wurde auch bemängelt, dass ungleiche Bedingungen gelten. Während im Bahnbetrieb grosse Kosten für die Erstellung und den Unterhalt der Infrastruktur in Rechnung gestellt werden mussten, benützten Lastwagen die Strassen unentgeltlich. Auch die viel strengeren Arbeitszeitregelungen beim Bahnpersonal wurden als grosser Nachteil empfunden. Es lag auf der Hand, dass die Verantwortlichen der Bahnen gerne mehr Gütertransporte auf der Schiene gesehen hätten. Allmählich wurde jedoch klar, dass beide Transportmittel ihre Vor- aber auch Nachteile hatten und deshalb ein Aufteilen der Gütertransporte in vielen Bereichen Sinn machte, dass die beiden Verkehrsmittel also weniger als Konkurrenz, sondern mehr als gegenseitige Ergänzung anzusehen waren. Die Schweizerische Express AG (SESA) betrachtete bereits 1931 eine ihrer wichtigsten Aufgaben darin, den Dienst auf der Schiene einerseits und auf der Strasse andererseits im Sinne gegenseitiger Ergänzung zu organisieren, d.h. den Bahntransport in enger Verbindung mit Camionage. Vorerst wurde ein solcher Versuch auf der Strecke Winterthur-Weinfelden gestartet, der bald auch auf die MThB-Linie ausgeweitet wurde.
Im Jahre 1925 wurde über die Umwandlung der Dienstalterskasse in eine Pensions- und Hülfskasse beraten. Ab dem 1. Januar 1927 galten die mit der Rentenanstalt Zürich abgeschlossenen Verträge.
Es war dem Vertrag mit der Westdeutschen Eisenbahngesellschaft zu verdanken, dass die MThB in dieser schwierigen Zeit überhaupt über die Runden kam. Die Defizitgarantie musste mehrmals in Anspruch genommen werden. 1928 kam es zur Fusion der Westdeutschen Eisenbahngesellschaft mit der Aktiengesellschaft für Verkehrswesen, Berlin. Für die MThB war dies günstig, weil damit die finanzielle Sicherheit verbessert wurde. Der Garantievertrag, der eigentlich 1932 ausgelaufen wäre, wurde bereits 1930 neu geschlossen und galt weitere zwanzig Jahre. Rechtsnachfolgerin der Westdeutschen Eisenbahngesellschaft war die Vereinigte Kleinbahnen AG (V.K.A.) mit Sitz in Frankfurt am Main.
Auch aus finanziellen Gründen wurde 1936 überlegt, dieselbetriebene Motortriebwagen anzuschaffen, da der Energieverbrauch nur etwa einen Fünftel eines vergleichbaren Kohlebedarfs kostete. Während der Kriegsjahre wurden zwei solche Triebwagen in Betrieb genommen. Diese Maschinen waren wesentlich leichter und sollten für den Personenverkehr Vorteile bringen.
Krisenjahre um 1950
Während der Güterverkehr im Jahr 1941 nicht zuletzt wegen des 2. Weltkrieges und einer ausgelasteten Wirtschaft stark zugenommen hatte, brach er gegen das Ende des Krieges und kurz danach völlig zusammen. Der innerschweizerische Personenverkehr verharrte auf tiefem Niveau. Zwischen Kreuzlingen und Konstanz fand auch nach dem Krieg kein Personenverkehr statt.
Anlagen und Einrichtungen der Bahn wiesen im laufenden Unterhalt sowie in der Erneuerung erhebliche Rückstände auf. In den vergangenen Jahrzehnten beschränkte sich der Unterhalt der Anlagen oft nur auf das Dringlichste. Die letzten Vermögenswerte waren 1949 aufgebraucht. Auf Ende dieses Jahres war der Vertrag mit der V.K.A. vorzeitig aufgelöst worden. Die V.K.A. sowie die Westdeutsche Eisenbahngesellschaft hatten seit 1912 rund zwei Millionen Franken an Mehrleistung für die MThB erbracht.
Verschiedene Gutachten und Berichte dokumentierten die verkehrs- und betriebstechnische Situation, sowie die Finanzlage der MThB:
1. Bericht des Eidg. Amtes für Verkehr vom 5. Januar 1948.
2. Gutachten von K. Braun und Heinrich Hürlimann mit der Prüfung von Betriebs- und Verkehrsfragen im Einzugsgebiet der MThB vom April 1949.
3. Bericht von Verwaltungsrat und Betriebsdirektion über die MThB im Jahr 1950 vom Juni 1950.
4. Gutachten von A. Altwegg und E. Fischer über eine Betriebsgemeinschaft mit der Frauenfeld-Wil-Bahn oder der Bodensee-Toggenburg-Bahn vom Januar 1951.
5. Expertenbericht von Ingenieur X. Remy, Direktor der Chemins de Fer Fribgourgeois, Ingenieur R. Hohl, Fachmann des Automobilbetriebs, Küsnacht ZH und A. Meyer, alt Betriebschef Kreis III der SBB, Magliaso über eine allfällige Auflösung der MThB und den Ersatz durch einen Busbetrieb vom Juli 1951.
6. Dokumentarische Aufzeichnung von Heinrich Hürlimann über „Die MThB im Daseinskampf“ vom Herbst 1953.
1951 wurde eine Notstandsaktion in die Wege geleitet. Danach zahlte der Bund eine Million Franken, der Kanton Thurgau Fr. 850'000.- CHF und der Kanton St.Gallen Fr. 150'000.- CHF an das Betriebsdefizit. Zudem wurden die Gemeinden entlang der MThB verpflichtet, während der nächsten zehn Jahre ein Betriebsdefizit von maximal Fr. 110'000.- CHF zu übernehmen. Nach spätestens zehn Jahren sollte die Gesamtsituation neu beurteilt werden.

Elektrifizierung 1965
Bereits 1909 wurde über die Elektrifizierung der MThB nachgedacht. Beim Bau wurde allerdings nur darauf geachtet, dass eine spätere Elektrifizierung ohne Einschränkung realisiert werden könnte.
Auch während des ersten Weltkrieges, als die Kohlepreise beinahe ins Unermessliche stiegen und die Kohlequalität schlecht war, wurde über die Elektrifizierung diskutiert. Nach dem Krieg wurde dieser Gedanke allerdings wieder auf die lange Bank geschoben, da die finanziellen Mittel für einen entsprechenden Ausbau fehlten.
Zwischen 1930 und 1950, als viele Eisenbahnlinien elektrifiziert wurden, fehlte bei der MThB schlicht und einfach das Geld für eine so grosse Investition. Erst nach Inkrafttreten des neuen Eisenbahngesetzes von 1957 war eine umfassendere Förderung der Eisenbahnen möglich geworden. – Die seit 1912 im Dienst stehenden Dampflokomotiven waren mehr und mehr störungsanfällig, oft längere Zeit in Reparatur und konnten auf die Dauer ihre Aufgabe nicht mehr erfüllen. Schliesslich beschloss das Thurgauervolk in der Abstimmung vom 22. Oktober 1961 deutlich die Elektrifikation der MThB. Der Kanton St.Gallen und die Stadt Konstanz zeigten sich solidarisch, sodass mit der Planung und Ausführung der Elektrifikation begonnen werden konnte. Gleichzeitig wurde neues Wagenmaterial bestellt, zusammen mit andern Privatbahnen, um Rabatte zu erzielen. Am 24. September 1965 konnte der elektrische Betrieb aufgenommen werden. Damit war die MThB eine der letzten normalspurigen Bahnstrecken der Schweiz, die elektrifiziert wurde.
Hochkonjunktur
Schon früh hatte die MThB begonnen, für Firmen entlang der Bahnlinie Anschlussgeleise zu bauen, finanziert meist von beiden Beteiligten. Das erwies sich als Vorteil im Güterverkehr. Dank der Elektrifizierung war es möglich geworden, schwerere Güterzüge über die Steigungen der MThB zu befördern. Der Bau von drei grossen Tanklagern innerhalb von zehn Jahren (1966 Altishausen, 1968 Lengwil und 1975 Tägerschen) brachten beim Güterverkehr eine massive Steigerung.
Das wirtschaftliche Wachstum, vor allem in den Regionen Zürich und Winterthur führte zu mehr Pendlerverkehr. Dieser wurde in den 1960er Jahren mehrheitlich auf der Strasse abgewickelt, sodass der Personenverkehr erst ab etwa 1970 allmählich zunahm. Erst die immer dichter werdenden Fahrplanangebote, die schlankeren Anschlüsse und der Bau des Flughafenbahnhofs 1980 wirkten sich positiv auf die Anzahl der beförderten Personen aus.
Die Einführung des Taktfahrplans 1982 auf dem gesamten Netz der SBB hatte zur Folge, dass die durchgehenden Züge Wil-Konstanz abgeschafft wurden. Während manche Anschlüsse verbessert werden konnten und der Taktfahrplan sehr kundenfreundlich und einfach war, gab es auch Verbindungen, die sich verschlechterten. – Auf der Strecke Weinfelden-Wil wurde der Fahrplan auf gute Anschlüsse in Wil ausgerichtet, während die Anschlüsse in Weinfelden schlechter wurden.

Tochterunternehmungen
Reisebüro Mittelthurgau AG (RMT), mit Sitz in Weinfelden:
Im Jahre 1970 erfolgte die Gründung. Zur Ermöglichung eines rationellen Einsatzes der Angestellten war ein Personalaustausch mit dem kommerziellen Dienst der MThB vereinbart worden. Schwergewichtig wurden zuerst Nostalgiefahrten mit dem Mostindienexpress angeboten. 1982 konnten fünf Panorama-Reisezugwagen der deutschen Bundesbahn übernommen werden („Rheingold“), 1993 mehrere Wagen des ehemaligen Orient-Expresses. Damit wurden vorerst Schnupperfahrten auf der Stammlinie und einigen angrenzenden Bahnlinien durchgeführt. Schliesslich gelangten diese Wagen auf mehrtägigen Bahn- und Rundreisen in Mittel- und Nordeuropa, sowie in Russland zum Einsatz.
Ein zweites erfolgreiches Segment waren die angebotenen Schiffsreisen auf mitteleuropäischen Flüssen, die einen gehobenen Standard aufwiesen und preislich nicht zu den günstigsten gehörten. Dafür hatte RMT von der in Paris ansässigen Firma Aqua Viva SA zwei Hotelschiffe, die auf der Seine, resp. der Rhône eingesetzt waren, übernommen.

Lokoop AG, Weinfelden:
Gegründet wurde diese Tochterunternehmung am 17. Mai 1994, gemeinsam mit der Südostbahn und dem Reisebüro Mittelthurgau. Die Gesellschaft bezweckte die Beschaffung und Vermietung von Eisenbahnfahrzeugen . Als erstes konnte eine Serie gebrauchter Lokomotiven der Deutschen Reichsbahn übernommen werden. Nachdem sie auf die technischen Anforderungen der Schweiz angepasst waren, wurden sie hauptsächlich für Güterzugstransporte eingesetzt.

Mittelthurgaubahn (Deutschland) GmbH, Konstanz:
Die Gründung dieser Tochterfirma am 30. August 1996 war eine Bedingung, damit die MThB die stillgelegte Bahnstrecke Radolfzell-Stockach in Betrieb nehmen konnte. Da die Schweiz nicht EU oder EWR-Mitglied war, musste eine deutsche Tochtergesellschaft gegründet werden.
Die MThB beteiligte sich 1996 zu 71% an der Reisebüro Mittelthurgau AG, zu 45% an der Lokoop AG und zu 100% an der Mittelthurgaubahn (Deutschland) GmbH.
Streckennetzerweitungen ab 1993

Am 28. Juni 1993 beschloss der Kreistag des Landkreises Konstanz, auf den Fahrplanwechsel 1994 gemeinsam mit der Deutschen Bundesbahn (DB) und der MThB ein neues Konzept für den Schienenpersonennahverkehr (SPNV) zwischen Engen und Konstanz zu verwirklichen. Damit wurden direkte Züge von Weinfelden bis Engen verwirklicht. („Seehas“) Zwei Jahre später kam die wieder eröffnete Strecke Radolfzell-Stockach dazu („Seehäsle“). Auch auf der schweizerischen Seite des Bodensees wurde eine weitere Streckenerweiterung vorbereitet. Die Seelinie zwischen Romanshorn und Schaffhausen sollte der MThB als Verbindungslinie zur Bodensee-Toggenburgbahn dienen. Die von der SBB vernachlässigte Seelinie wurde von der MThB am 1. Juni 1997 für zehn Jahre versuchsweise übernommen und sollte in kurzer Zeit modernisiert werden. Der Bund hatte für dieses Vorhaben einen Investitionskredit von 34 Millionen Franken gesprochen. Die ganze Strecke konnte nun von Kreuzlingen aus ferngesteuert betrieben werden. Sämtliche Haltestellen und schliesslich auch der Bahnhof Kreuzlingen wurden innerhalb von drei Jahren modernisiert und rollstuhlgängig gemacht. Zusätzliche Haltestellen wurden in Kreuzlingen beim Seepark, in Landschlacht und später beim Spital Münsterlingen, in Triboltingen und in St. Katharinental errichtet. Die Haltestelle Bottighofen wurde um einige hundert Meter verlegt. An der Stammlinie entstanden neue Haltestellen beim AMP Bronschhofen und in Tägerschen.
Die letzten Jahre der MThB und Konkurs

Im Zusammenhang mit dem Autobahnbau zum Zollhof Kreuzlingen-Konstanz musste das Trassee der MThB bei Tägerwilen angepasst werden. Die Strecke wurde zwischen Bernrain und Kreuzlingen teilweise auf Doppelspur ausgebaut und der Bahnhof Tägerwilen wurde näher zum Dorf verlegt und neu gebaut. Im Jahr 2000 traten neue Statuten in Kraft. Der Verwaltungsrat wurde von maximal zwanzig Personen auf maximal neun Mitglieder reduziert. Gleichzeitig wurde der Verwaltungsausschuss aufgehoben. Ebenfalls 2000 erhielt die MThB den „Thurgauer Apfel“, einen Motivationspreis der Stiftung Chance Thurgau, als Anerkennung dafür, wie die MThB als öffentliche Unternehmung ihre unternehmerischen Freiräume genutzt und im schweizerischen Transportwesen Standards gesetzt hatte. Für die Verschuldung und den daraus resultierenden Konkurs der MThB waren verschiedene Gründe massgebend. Bei der raschen Vergrösserung der MThB wären unbedingt auch Konsolidierungsphasen notwendig gewesen. Diese fehlten, sodass wichtige buchhalterische Tätigkeiten dem Aktivismus zum Opfer fielen. Dazu kamen offensichtliche Fehler auf verschiedenen Seiten:
- Während mehrerer Jahre versäumte die Verwaltung der MThB, die vom Land Baden-Württemberg zugesicherten Abgeltungen termingerecht zu beantragen. Über die Jahre führte das zu einem Millionenverlust, der später nicht mehr eingefordert werden konnte.
- Für den Ausbau der Seelinie wurden Mehrkosten in Kauf genommen, für deren Finanzierung niemand eine Zusicherung gegeben hatte.
- Schulden bei der SBB wegen fälligen Pachtzinsen, beim Bundesamt für Verkehr, bei der Asea Brown Boveri (ABB) und bei der Frauenfeld-Wil-Bahn.
- SBB Cargo teilte der MThB 1999 kurzfristig mit, dass sie den Wagenladungsverkehr im Güterbereich in eigener Verantwortung führen werde und entzog der MThB damit rund 85% ihrer Güterverkehrserlöse.
- Der Ausbau des Bahnhofs Kreuzlingen 1998/99 geschah mittels Vorinvestitionen der MThB. Bei der Volksabstimmung vom 12. März 2000 verwarfen die Kreuzlinger Stimmbürger im ersten Anlauf den Kredit für den Ausbau des Bahnhofs, wodurch die Vorinvestitionen nicht an die MThB zurückgezahlt werden konnten.
All dies führte im ersten Halbjahr 2002 dazu, dass die MThB keine Möglichkeit mehr sah, aus eigener Kraft aus diesem finanziellen Desaster herauszukommen und deshalb der Konkurs eingeleitet werden musste.
Die Reisebüro Mittelthurgau AG musste bereits 2001 das Handtuch werfen. Im Herbst traf die allgemeine Krise im Tourismus nach den Anschlägen vom 11. September in New York und dem Swissair-Grounding im Oktober die Reisebranche hart. Dazu kam eine Salmonellenvergiftung bei einer Touristengruppe, die auf einem der Hotelschiffe unterwegs war.
Wie weiter?

Bereits gegen Ende der 1990er Jahre wurde die Idee verfolgt, praktisch das gesamte Streckennetz der Nordostschweiz unter eine Verwaltung zu stellen, eine Regionalbahn Ostschweiz (RBO) zu gründen. Ein träfer Firmenname wurde gesucht. Der Name „Thurbo“ machte das Rennen und bereits im November 2000 wurde die Thurbo AG mit Sitz in Kreuzlingen gegründet. Finanziert war Thurbo zu 99% von der SBB. Nach dem Konkurs der MThB bestand die Gefahr, dass der öffentliche Verkehr auf den von der MThB betriebenen Linien nicht mehr aufrecht erhalten werden könnte. Rasch wurden Verhandlungen eingeleitet, um dies zu verhindern. Die Aktiven der MThB sowie die Lokoop AG wurden an die SBB verkauft, die Seelinie ging zurück in den Besitz der SBB, die Stammlinie Wil-Kreuzlingen ging in den Besitz der Thurbo AG. Alle Arbeitsplätze konnten erhalten werden und wurden von der SBB und der Thurbo AG übernommen. Der Kanton Thurgau beteiligte sich mit 10% an der Thurbo AG. Die Zusammenarbeit mit der Frauenfeld-Wil-Bahn wurde beendet.

Verwaltungsratspräsidenten

1908–1940 Alfons von Streng, Nationalrat, Sirnach/Emmishofen
1941–1956 Paul Engeli, Gemeindeammann, Weinfelden
1957–1980 Albert Schläpfer, Gemeindeammann/Regierungsrat, Weinfelden
1980–1983 Alfred Diethelm, Gemeindeammann, Weinfelden
1983–2002 Hermann Lei, Gemeindeammann/Regierungsrat, Weinfelden

Verwaltungsrats – Vizepräsidenten

1908–1914 Franz Weber, Oberbürgermeister, Konstanz
1914–1918 Hermann Dietrich, Oberbürgermeister, Konstanz
1918–1933 Otto Moericke, Oberbürgermeister, Konstanz
1933–1945 Albert Herrmann, Oberbürgermeister, Konstanz
1946–1965 Alois Löhrer, Stadtammann, Wil
1965–1980 Emil Meyerhans, Mühlenbesitzer, Weinfelden
1980–1996 Hans Wechsler, Stadtammann, Wil
1996–2002 Josef Hartmann, Stadtammann, Wil

Ausführende Betriebsdirektoren

1912–1949 Maximilian Vogler, Ingenieur, Emmishofen
1950–1961 Heinrich Hürlimann, Ingenieur, Frauenfeld
1962–1967 Josef Nell, Ingenieur, Weinfelden
1967–1988 Rolf Sax, Dr. rer. pol., Weinfelden
1988–2002 Peter Joss, lic. jur. Weinfelden
Bestandsgeschichte:Wie das Archiv der MThB entstanden ist und geführt wurde, kann im Detail nicht mehr rekonstruiert werden. Es ist wahrscheinlich, dass das Archiv zwischen 1919 und 1961 im Haus zum "Comité" untergebracht war. Anschliessend zog die Verwaltung ins Gebäude des Thurgauer Tagblattes, vermutlich mit dem Archiv. Übernommen wurde die Ablieferung im Telecomgebäude an der Schützenstrasse in Weinfelden, wo das Archiv die letzten Jahre aufbewahrt wurde. Die Hauptablieferung 2002–081 fand im Dezember 2002 statt. Geschäftsunterlagen und Pläne sowie Fotos wurden übernommen. Dieter Meile, Weinfelden, der interimistische Direktionspräsident war die Kontaktperson. Am 8. Juli 2005 gelangte eine formlose Nachlieferung (ohne Ablieferungsnummer) ins Staatsarchiv. Sie enthielt Bauabrechnungen, Verträge und Pläne, die zur Treuhandfirma Thalmann AG in Weinfelden gelangt waren. Mit der Ablieferung 2006-017 gelangten am 22. Juni 2006 Handakten des letzten Verwaltungsratspräsidenten Hermann Lei ins Staatsarchiv.
Weitere Handakten über Konkurs und Liquidation der MThB von Regierungsrat Claudius Graf-Schelling lieferte dieser am 5. Oktober 2007 dem Staatsarchiv ab (Ablieferung 2007-037). Diese werden aber mit weiteren Handakten von Regierungsrat Graf-Schelling in einem separaten Bestand erschlossen. Am 8. Mai 2012 wurde eine weitere Aktenablieferung (2012–022) von der Treuhandfirma Thalmann AG, Weinfelden, übernommen. Sie enthielt Akten:
- des Verwaltungsrates und der Direktion (Reglemente, Vereinbarungen, Korrespondenz)
- der Stammlinie
- der Seelinie (Schaffhausen-Kreuzlingen-Romanshorn)
- des „Seehas“ (Konstanz-Singen-Engen)
- des „Seehäsle“ (Radolfzell-Stockach)
- über Finanzielles (Belege, Journale, Baukonti, Versicherungen, Löhne, Pensionskasse - Liegenschaften)
- über Personelles
- über den Bau (Neutrassierung, Unterhalt der Bahnlinien und Stationen)
- des Reisebüros Mittelthurgau AG (Orient-Express)
- der Lokoop AG
Am 25. Juni 2012 übergab Dieter Meile seine Akten zu Konkurs und Liquidation dem Staatsarchiv ab, Ablieferung 2012-031. Im Anschluss an diese Ablieferungen wurde an verschiedenen Stellen nachgefragt, ob noch weitere Archivteile vorhanden seien, was aber nicht der Fall war. Anfragen gingen an die Nachfolgefirmen der Reisebüro Mittelthurgau AG (Retail AG, Eschlikon, Travel-Consulting Hans Ricklin GmbH, Winterthur, Thurgau Travel, Fluss- und Kreuzfahrten, Weinfelden.) Betreffend Lokooparchiv wurden die Südostbahn sowie SBB-Historic in Bern angefragt. Bei einer Anfrage an Hermann Lei versicherte dieser, keine Akten mehr zu besitzen.

Der Bestand wurde 2012-2014 in 2400 Stunden von Christof Sauter bearbeitet.
Direktübernahme von Provenienzstelle:Ja.

Inhalt und innere Ordnung

Bewertung und Kassation:Das StATG entschied, die Akten der Reisebüro Mittelthurgau AG in einem eigenen Bestand 8'415 zu archivieren. Ebenfalls bilden die Akten der Frauenfeld-Wil-Bahn einen eigenen Bestand (8'418).
Kassiert wurden:

- Frachtpapiere nach Stationen und Jahren. Die Wagenkontrollbücher enthalten die wesentlichsten Informationen.
- Von den Rechnungsbelegen aus der Schlussphase, die noch vollständig vorhanden waren, wurde eine exemplarische Auswahl aufbewahrt. Zur Stammlinie wurden die Jahrgäne 1992 sowie 2001-2003 vollständig aufbewahrt, von der Seelinie der Jahrgang 1998. Alle übrigen Belege wurden kassiert.
- Monatliche Lohnabrechnungen, Rentenlisten und Krankenkassenbelege.
- Buchhaltung betr. Vermietung der Liegenschaften der Pensionskasse.
- Journale, Tagesabschlüsse der Seelinie waren als einzelner Jahrgang 2002 für die Archivierung nicht geeignet.
- Meldezettel von Schwarzfahrern.
- Unterlagen der internationalen Gotthard-Tagung 1988 in Locarno, Variante Gotthard-Ost.
- Dias von Feuerwerken des Seenachtfestes Kreuzlingen/Konstanz.
- Externes Dokumentationsmaterial, sofern kein direkter Bezug zur MThB vorhaden war.
- Dubletten

Zugangs- und Benutzungsbedingungen:

Rechtsstatus:Eigentum des Staatsarchivs des Kantons Thurgau.
Zitiervorschlag:Fussnote: StATG 8'414, */*

Quellenverzeichnis: StATG 8'414 Mittel-Thurgau-Bahn MThB 1911-2002
Sprachen:deutsch

Sachverwandte Unterlagen:

Verwandte Verzeichnungseinheiten:StATG 4'15 Eisenbahnen: Mittel-Thurgau-Bahn
StATG 8'415 Reisebüro Mittelthurgau AG
StATG 8'418 Frauenfeld-Wil-Bahn
Veröffentlichungen:Welter, Alfred: Festschrift zur Elektrifikation der Mittel-Thurgau-Bahn, 24. September 1965, Weinfelden, Weinfelden 1965.

Mente, Michael: Von der MThB zur Thurbo, 100 Jahre Geschichte und Geschichten über die Bahn im mittleren Thurgau- begleitet von den Erzählungen eines Kulturdenkmals unter Dampf, Weinfelden 2013.

Anmerkungen

Kommentar des Staatsarchivs:Aus der Anfangszeit der MThB sind erstaunlich viele Akten überliefert und ergeben einen vielfältigen Einblick über die Planung des Streckenverlaufs, über Landverhandlungen und den Landerwerb. Die Detailplanung der Strecke mit technischen Angaben, Korrespondenz zu Verhandlungen mit Gemeinden und Anstössern und sehr viele Pläne veranschaulichen die Entstehung der Stammlinie. Schliesslich erfahren wir auch viel über die verwendeten Fahrzeuge und über die Stations- und Nebengebäude. Etwas weniger umfangreich sind die Bereiche Finanzielles und Personelles.

Unter der Internetadresse http://kunden.eye.ch/swissgen/heer/BIOTG.pdf (17.12.2014). befindet sich eine Liste mit biografischen Daten von Verwaltungsräten und leitenden Angestellten der MThB und der FW sowie den verschiedenen unausgeführten Eisenbahn- und Nebenbahn-Projekten der Region Thurgau, von der Pionierzeit bis in die neuere Zeit. Verfasst wurde die Liste von Anton Heer, Birkenstr. 35, 9230 Flawil im Jahr 2008.
 

Usage

End of term of protection:12/31/2022
Permission required:Keine
Physical Usability:uneingeschränkt
Accessibility:Oeffentlich
 

URL for this unit of description

URL: https://query-staatsarchiv.tg.ch/detail.aspx?ID=404731
 

Social Media

Share
 
Home|Shopping cartno entries|Login|de en fr it
State Archive Thurgau Online queries