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4'143 Notstandsarbeiten Zwischenkriegszeit, 1919-1927 (Fonds)
Identifikation |
Ref. code: | 4'143 |
Title: | Notstandsarbeiten Zwischenkriegszeit |
Creation date(s): | 1919 - 1927 |
Level: | Fonds |
Umfang |
Running meters: | 1.60 |
Number: | 16 |
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Kontext |
Name der Provenienzstelle: | Departementssekretariat Inneres |
Verwaltungsgeschichte/Biografische Angaben: | Am 05.08.1918 schuf der Bundesrat mit seinem Beschluss betreffend die Fürsorge bei Arbeitslosigkeit in industriellen und gewerblichen Betrieben die Grundlage, um mit geeigneten Massnahmen der nach dem Ersten Weltkrieg steigenden Arbeitslosigkeit entgegenzuwirken. Der Arbeitslose hatte nun für die Dauer der Erwerbslosigkeit Anspruch auf eine Teilzahlung seines früheren Verdienstes. Die zur Bestreitung der Ausgaben erforderlichen Mittel wurden gemeinsam von Bund, Kanton, Gemeinden und Arbeitgebern bestritten. Die diesbezüglichen thurgauischen Ausführungsbestimmungen sind in der Verordnung vom 03.09.1918 enthalten. Als federführendes Organ wurde innerhalb des Departements des Innern eine Zentralstelle für Arbeitslosenfürsorge geschaffen (Rechenschaftsbericht RR TG 1918, S. 23).
Ausgehend von der exportorientierten Schweizer Industrie und den Erfahrungen des Winters 1918/19 ergriff der Bundesrat erneut die Initiative, einer wahrscheinlichen Arbeitslosenzunahme für den kommenden Winter 1919/1920 entgegenzuwirken. Darum wollte er die Bundesversammlung dahingehend überzeugen, Mittel zu bewilligen, welche einerseits der Arbeitsbeschaffung und Förderung der lokalen Gewerbe, andererseits aber auch der Eindämmung des Wohnraummangels dienen sollten (Rechenschaftsbericht RR TG 1919, S. 28). Für die Umsetzung dieser Massnahmen gewährte der Bund am 23.05.1919 einen Kredit in der Höhe von zwanzig Millionen Franken, mit dem Bauprojekte (Neu- und Umbauten) über 3'000 Fr. unterstützt werden sollten. Diese Subvention war an die Bedingung geknüpft, dass sich der Kanton und/oder die Gemeinde mit einer eben so hohen Summe am jeweiligen Projekt beteiligten. Im Kanton Thurgau wurden bei dieser Aktion 28 Gesuche mit insgesamt 46 Wohnungen berücksichtigt (Rechenschaftsbericht RR TG 1919, S. 28-29). Ebenfalls am 23.05.1919 sprach der Bund einen Kredit über zwölf Millionen Franken zur Behebung der Arbeitslosigkeit durch verschiedene Meliorationsarbeiten (Bodenverbesserungen, Strassen- und Wegebauten, Gewässerkorrektionen, Kanalisationen, etc.). Dabei konnten im Kanton Thurgau achtzehn Gesuche berücksichtigt werden, die Arbeiten an Bächen, Kanalisationen, Wasserversorgungsanlagen, Planierungen, Hafenbauten, Brückenbauten sowie Schiessanlagen unter Verwendung von 78'624 Fr. des Bundeskredits vornahmen (Rechenschaftsbericht RR TG 1919, S. 29).
Per Kreisschreiben vom 09.12.1919 ersuchte das eidgenössische Amt für Arbeitslosenfürsorge die Kantonsregierungen um die Ausrichtung einer Enquête über den voraussichtlichen Wohnungsbedarf in den Jahren 1920 bis 1922, um darauf fussend die Kreditverteilung zur Hochbauförderung vorzunehmen. Die Meldungen der thurgauischen Gemeinden ergaben einen Gesamtbedarf von 190 neuen Wohnungen im Jahre 1920, 91 im Jahre 1921 und 92 im Jahre 1922. Zum Zeitpunkt der Enquête waren zur Subventionierung insgesamt 92 Wohnungen angemeldet. Die Ausrichtung der Beiträge erfolgte daraufhin auf der Grundlage des Bundesratsbeschluss vom 23.05.1919 respektive 15.07.1919 und dem Thurgauer Ausführungsbeschluss vom 09.07.1919 (RRB vom 21.05.1920). Insgesamt wurde dem Kanton Thurgau von genanntem Bundeskredit eine Quote von Fr. 225'000 zugeteilt (Rechenschaftsbericht RR TG 1920, S. 23).
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| Da der Beschäftigungsgrad in der Industrie relativ hoch war, wurden die Notstandskredite anfänglich wenig beansprucht. Dies änderte sich in den letzten Monaten des Jahres 1920 wegen der rasant steigenden Arbeitslosenzahlen und damit einhergehend dem vermehrten Eintreffen von Gesuchen, wobei der Grossteil der Projekte erst im folgenden Jahr 1921 zur Ausführung kam. Die im Jahr 1920 abschliessend behandelten Massnahmen bestanden aus einem Brückenbau-Projekt, einer Planie-Arbeit, einer Friedhofanlage und zwei Schiessanlagen: Insgesamt fünf Projekte wurden in einer Gesamthöhe von Fr. 16'856 ausgeführt (Bundesbeitrag von 8'053 Fr., Kantonsbeitrag von Fr. 7'353 und Gemeindebeiträge von Fr. 1'450) (Rechenschaftsbericht RR TG 1920, S. 24).
Die Umsetzung dieser sog. Notstandsmassnahmen hatten auch verwaltungsorganisatorische Folgen: Nachdem das "Kreisbureau des eidgenössischen Amtes für Arbeitslosenfürsorge" am 01.09.1920 die Tätigkeit einstellte, mussten die Aufgaben vom Kanton aufgefangen werden. Bis zum Jahresende führte ein einzelner Beamter die Geschäfte fort, bis durch die kantonale Verordnung vom 24.12.1920 der Betrieb des kantonalen Arbeitsamtes geregelt wurde, "dessen Aufgaben das Unterstützungswesen, dessen Vereinigung mit der Arbeitsvermittlung wesentlich dazu beiträgt, arbeitsscheue Elemente zur Arbeit zu bringen, oder dann von der Unterstützung auszuschliessen." (Rechenschaftsbericht RR TG 1920, S. 22-23). Auf 01.01.1921 trat unter der Leitung von Heinrich Baumann das thurgauische Arbeitsamt in vollem Umfange in Aktion und vereinigte die vorher getrennten Bereiche der Erstellung von Arbeitsnachweisen und der Arbeitslosenfürsorge. Die Umstände, insbesondere im Kerngeschäft der Arbeitslosenfürsorge, verschärften sich in den letzten Monaten des Jahres 1920 derart, dass neben der organisatorischen auch eine personelle Reorganisation bzw. die Aufstockung um einen Kanzlisten und zwei Hilfsangestellten nötig wurde (Rechenschaftsbericht RR TG 1921, S. 50).
Die durch die Notstandsbeiträge subventionierten Hochbauten unterstützten namentlich das lokale Baugewerbe in prophylaktischer Hinsicht. Einsatzmöglichkeiten für bereits arbeitslose Personen boten Projekte im Bereich des Tiefbaus, wobei ein hoher Anteil an ungelernten/fachfremden Kräften eingesetzt werden konnte. Während die 27 Wohnbauten sich auf sechzehn Gemeinden verteilten, erstreckten sich die 141 übrigen Notstandsarbeiten auf 107 Gemeinden. Bei den Hochbauten wurde festgestellt, dass die Gemeindesubventionen bedeutend höher als der Anteil des Kantons ausfielen, während letzterer an die übrigen Notstandsarbeiten bedeutend mehr leistete (Rechenschaftsbericht RR TG 1921, S. 59). Während den Aktionen waren ständig zirka 1'000 Arbeitslose beschäftigt. Der Regierungsrat des Kantons Thurgau befand diese Notstandsarbeiten nicht nur als existenzsichernde Massnahmen, sondern als zielgerichtete und nachhaltige Hilfeleistungen und erhoffte sich dadurch langfristige Arbeitslosigkeit mit den damit einhergehenden Unterstützungskosten zu umgehen. Darüber hinaus hielt er im Rechenschaftsbericht an den Grossen Rat des Kantons Thurgau fest, dass somit "bleibende Werke geschaffen" und "unberechenbarer moralischer Schaden abgewendet" würden (Rechenschaftsbericht RR TG 1922, S. 63).
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| Mit der zunehmend sich erholenden Wirtschaftslage im Jahr 1923 und dem Rückgang der Arbeitslosigkeit ging der Abbau der Notstandsmassnahmen einher: Die Förderung im Segment der Hochbauten war bereits am 01.05.1922 eingestellt worden. Die ansteigenden Baupreise zu Beginn der Saison 1923 liessen ein Abflauen der Bautätigkeit befürchten, weshalb der Regierungsrat die Wiederaufnahme der Subventionierung von Hochbauten in dem Sinne beschloss, "dass wir den Gemeindebeitrag zur Auslösung eines gleich hohen Bundesbeitrages benutzten, im übrigen die kantonalen Mittel zur Förderung eigentlicher Notstandsarbeiten reservierten. Mit Schlussnahme vom 27. Juli stellten wir die Beitragsleistung endgültig ein, soweit die Projekte nicht mit den nötigen Unterlagen bis 15. August zur Anmeldung gelangt waren." (Rechenschaftsbericht RR TG 1923, S. 65).
Im Kanton Thurgau wurden somit fünf Kampagnen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit mittels Förderung der Hochbautätigkeit und Milderung der Wohnungsnot unter Zuhilfenahme von Bundesmitteln durchgeführt: am 23. Mai 1919/15. Juli 1919, am 11. Mai 1920, am 19. Februar 1921, am 20. September 1921 sowie am 14. November 1922.
Die Notstandsmassnahmen beinhalteten Aktionen in den Bereichen des Hochbaus (Hochbau mit oder teilweise ohne "Wohnzweck") und des Tiefbaus (Strassenkorrektionen und Trottoiranlagen; Kanalisationen; Wasser- und Gasleitungen, Quellenfassungen, Pumpanlagen; Uferschutzbauten an Seen, Flüssen und Bächen, Hafenanlagen; Abdecken von Kiesgruben, Kiesrüstarbeiten, Kieslagerplätze; Verpflockungs- und Vermarkungsarbeiten sowie Planiearbeiten) (Rechenschaftsbericht RR TG 1924, S. 61).
Durch Bundesratsbeschluss vom 04.03.1924 wurden die Massnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit auf 01.04.1924 endgültig eingestellt und es verblieb nur noch die Erledigung der pendenten Geschäfte (Rechenschaftsbericht RR TG 1924, S. 58). Mit dem Bundesratsbeschluss ging auch die Beendigung der Notstandsarbeiten im Kanton Thurgau einher und im Rechnungsjahr 1924 wurden somit nur noch die im Vorjahr zugesicherten Beiträge ausgerichtet. Als in der zweiten Jahreshälfte 1924 die Arbeitslosigkeit anstieg und deshalb prekäre Verhältnisse für den kommenden Winter befürchtet wurden, gelangte das Departement des Innern mit einer Anfrage um erneute Ausrichtung von Bundesmitteln an das eidgenössische Arbeitsamt. Im Gegensatz zu anderen Kantonen erhielt der Thurgau allerdings keine weiteren Ressourcen (Rechenschaftsbericht RR TG 1924, S. 69). |
Bestandsgeschichte: | Der Bestand 4'143 ging vermutlich zeitgleich wie die kriegswirtschaftlichen Bestände vom Departement des Innern ans Staatsarchiv über (gemäss Zuwachs- und Abgangsbuch des Staatsarchis Thurgau im Mai 1947).
Die Akten blieben teilweise in ihren Originalverpackungen aus den 1920er Jahren (mit Packpapier verschnürt, Bundesordner/Ordner, Couverts, etc.) oder wurden nach der Ablieferung an das Staatsarchiv teilweise in nicht alterungsbeständige Stulpdeckschachteln verpackt. Da die wenigsten losen Akten durch Dossiermäppchen geschützt waren, musste eine aufwändige Einzelblattreinigung vorgenommen werden.
Die Bestände 4'142-4'145 wurden von Ernst Guggisberg zwischen Oktober 2011 und Mai 2012 in 421 Arbeitsstunden erschlossen. |
Direktübernahme von Provenienzstelle: | Ja. |
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Inhalt und innere Ordnung |
Bewertung und Kassation: | Der Bestand wurde vollständig erschlossen, es fanden keine Nachkassationen statt. |
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Zugangs- und Benutzungsbedingungen: |
Rechtsstatus: | Eigentum des Staatsarchivs des Kantons Thurgau. |
Zitiervorschlag: | Fussnote: StATG 4'143'*, */*
Quellenverzeichnis: StATG 4'143 Notstandsarbeiten Zwischenkriegszeit 1919-1927
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Reproduktionsbestimmungen, Copyright: | Der Bestand wird durch die "Manuale" und thematisch-übergeordneten Korrespondenzen im ersten Fonds eröffnet. Anschliessend folgen die verschiedenen Notstandsaktionen auf Stufe Fonds mit den dazugehörigen Geschäften.
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Sprachen: | Deutsch (Kurrent, Handschrift, Faktur, Maschinenschrift) |
Finding aids: | Es existierten provisorische Findmittel pro Notstandsaktion. Diese wurden in den Bestand als Manuale aufgenommen. |
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Sachverwandte Unterlagen: |
Veröffentlichungen: | Groebner, Valentin; Guex, Sébastien; Tanner, Jakob (Hg.): Kriegswirtschaft und Wirtschaftskriege. Economie de guerre et guerres économiques, Schweizerische Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Band 23, Zürich: Chronos Verlag, 2008
Isler, Egon: Industriegeschichte des Thurgaus. Chronik Thurgauer Firmen, Zürich: Verlag Franz von Brun, 1945
Ruchti, Jacob: Geschichte der Schweiz 1914-1919, II. Band: Kriegswirtschaft und Kulturelles, Bern: Paul Haupt Verlag, 1930
Schoop, Albert: Geschichte des Kantons Thurgau, Band 1 Chronologischer Bericht, Frauenfeld: Huber Verlag, 1987
Schoop, Albert; et. al.: Geschichte des Kantons Thurgau, Band 2 Sachgebiete I, Frauenfeld: Huber Verlag, 1992
Schoop, Albert, et. al.: Geschichte des Kantons Thurgau, Band 3 Sachgebiete II, Frauenfeld: Huber Verlag, 1994 |
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Usage |
End of term of protection: | 12/31/1947 |
Permission required: | Keine |
Physical Usability: | uneingeschränkt |
Accessibility: | Oeffentlich |
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URL for this unit of description |
URL: | https://query-staatsarchiv.tg.ch/detail.aspx?ID=379269 |
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