9'1 Kantonsarzt, Hebammentagebücher, 1899-1974 (Abteilung)

Archive plan context


Identifikation

Ref. code:9'1
Title:Kantonsarzt, Hebammentagebücher
Creation date(s):1899 - 1974
Level:Abteilung

Umfang

Number:88

Kontext

Provenienz:Kantonsarzt.
Verwaltungsgeschichte/Biografische Angaben:Die Hebammen-Ordnung des Kantons Thurgau vom 19. Oktober 1899 (Neue Gesetzessammlung, Bd. VIII, Frauenfeld 1901, S. 467-471) schreibt unter anderem jeder Gemeinde ab 700 Einwohnern vor, eine Hebamme zu wählen, ihr ein Jahresgehalt (sog. Ruhegeld) von mindestens 100 Franken zu bezahlen und ihr die in der Verordnung vorgeschriebenen Gerätschaften, Arzneien usw. zur Verfügung zu stellen. Kleinere Gemeinden sollten die Betreuung der Frauen sicherstellen, indem sie sich mit Nachbargemeinden verständigten.
Die Wahl der Hebamme oblag vom 17. Jahrhundert bis ins Jahr 1908 der Versammlung der verheirateten (oder einmal verheiratet gewesenen) Frauen. Diese "Frauengemeinden" wurden vom Gemeindeammann, im 19. Jahrhundert zeitweise auch vom Pfarrer geleitet (vgl. dazu Ueltschi, Kathrin: "Weibergemeinden". In: Verein Thurgauerinnen gestern - heute - morgen (Hrsg.): bodenständig und grenzenlos. 200 Jahre Thurgauer Frauengeschichte(n), Frauenfeld 1998, S. 103-105).

Die zu Gemeindehebammen gewählten Frauen wurden auf Kosten des Kantons und der Gemeinde an einer öffentlichen Hebammen-Lehranstalt (meist in St. Gallen oder Zürich) ausgebildet und nach bestandener Prüfung durch das Sanitätsdepartement patentiert und per Handgelübde auf die geltenden Gesetze und Verordnungen verpflichtet. Die obligatorische Weiterbildung erfolgte alljährlich in Form eines vom Bezirksarzt erteilten obligatorischen Repetitionsunterrichts.

Zu den Pflichten sowohl der gewählten Gemeindehebamme wie auch der Privathebamme gehörte ab 1899 auch das Führen eines Hebammentagebuches, auch Entbindungstabelle genannt. Darin wurden Angaben zur Person der Mutter, zum Verlauf der Geburt und zum Gesundheitszustand von Mutter und Kind tabellarisch vermerkt. Am Ende eines jeden Jahres wurden die Tabellen dem Bezirksarzt abgegeben, der sie zusammen mit seinem Jahresbericht ans Sanitätsdepartement schickte (siehe StATG 4'825'12, Jahresbericht des Bezirksarztes Dr. Johann Jakob Schweizer, Bischofszell, 1904).

Die Einführung dieser Neuerung führte teilweise zu Widerspruch bei den Hebammen. Sie beklagten sich etwa über die Nutzlosigkeit gewisser Rubriken, über Format und Papierverschwendung, oder sie äusserten Bedenken bezüglich der Hygiene (siehe StATG 4'825'9, Jahresbericht pro 1899 des Physikats Münchwilen). Insbesondere in den ersten Jahren sind denn auch die geforderten Angaben nicht immer korrekt gemacht bzw. die Vorsatzblätter nicht überall vollständig ausgefüllt worden.

Ab den 1930er-Jahren suchten immer mehr Frauen eine private Entbindungsklinik (Frauenfeld) oder ein Krankenhaus (Arbon ab 1931, Romanshorn ab 1935; in beiden Gemeinden wurden anfänglich die Tagebücher nicht konsequent getrennt nach Haus- und Krankenhausgeburten geführt. Es empfiehlt sich also, in den fraglichen Jahren stets die Tagebücher sowohl der Gemeinde- als auch der Krankenhaushebamme zu konsultieren) auf. Schon 1929 ersuchte zum Beispiel die Gemeinde Weinfelden das Sanitätsdepartement um Erlaubnis, die in Pension gehende Hebamme nicht ersetzen zu müssen, da für zwei Gemeindehebammen keine Existenzmöglichkeit mehr bestehe (siehe StATG 4'802'51). Die Zahl der Hebammen reduzierte sich; immer häufiger beschäftigten mehrere Gemeinden gemeinsam eine Hebamme. (In solchen Fällen kam es vor, dass Hebammen ihre Geburtstabellen nicht streng getrennt nach Munizipal- oder Einheitsgemeinden führten. Es empfiehlt sich daher, bei der Suche nach einem bestimmten Geburtsprotokoll immer auch die entsprechenden Tagebücher für die Nachbargemeinden und, besonders in der Region Oberthurgau, auch die Tagebücher für die Krankenhäuser zu konsultieren.)
Ab den 1950er-Jahren ging die Zahl der Hausgeburten massiv zurück. Waren es 1971 noch 77, sank ihre Zahl bis ins Jahr 1973 auf nur mehr 34. Die einzelnen Hebammen betreuten ein immer grösseres Einzugsgebiet von mehreren Munizipal- oder Einheitsgemeinden. In vielen Gemeinden wurde in den 1960er- und 1970er-Jahren die Hebamme nur noch alle paar Jahre zu einer Hausgeburt gerufen. So erklären sich die Lücken in den Geburtstabellen vieler Gemeinden in späteren Jahrgängen. Die Verordnung des Regierungsrates über das Hebammenwesen vom 19. März 1963 (ABl TG 12, 22. März 1963, S. 186-191) trägt dieser Entwicklung Rechnung, indem sie nur noch vorschreibt, die Munizipalgemeinden seien verpflichtet, "so viele Hebammen für die Tätigkeit in der Gemeinde anzustellen, als für die ordnungsgemässe Besorgung der ausserklinischen Geburten notwendig" sei; ebenfalls wird die Möglichkeit eingeräumt, dass mehrere Gemeinden gemeinsam eine Hebamme anstellen. - Die Wahl erfolgte nun aufgrund eines Vorschlags der Gesundheitskommission durch den Gemeinderat (im Jahr 1963 ausschliesslich Männer). - Das Wartegeld wurde individuell festgesetzt, musste jedoch mindestens Fr. 2000.-- pro Jahr betragen.

Mit der Verordnung des Regierungsrates über Berufe des Gesundheitswesens vom 16. Juni 1987 (ABl TG 24, 19. Juni 1987, S. 733-734) schliesslich wurde das Warte- oder Ruhegeld für Hebammen abgeschafft. Damit gab es die Gemeindehebammen nicht mehr. Um den Berufsstand der freischaffenden Hebammen zu schützen und die freie Wahl von Geburtsort, Geburtsart und Wochenpflege zu gewährleisten, lancierte der "Verein Forum für Geburtshilfe" 1988 die "Thurgauische Volksinitiative für ein kantonales Hebammenentgelt", die verlangte, der Kanton habe den selbstständigen Hebammen "für jeden geleisteten Bereitschaftsdienst pro Einsatz eine angemessene Entschädigung" zu entrichten (vgl. StATG 3'00'751, RR-Prot. 18. April 1989, § 540). - Nachdem 1988 im Kanton Thurgau gerade noch 8 Hausgeburten zu verzeichnen waren, empfahl der Grosse Rat diese Initiative zur Ablehnung (vgl. ABl TG, 16. Febr. 1990, Beschluss des Grossen Rates betreffend die Volksinitiative für ein kantonales Hebammenentgelt). Am 1. April 1990 verwarfen die ThurgauerInnen das Volksbegehren deutlich.
Bestandsgeschichte:Es ist unklar, wann und durch wen der Bestand ins Staatsarchiv gelangte. Der administrative Kontext, in dem der Bestand gebildet wurde, legte allerdings nahe, dessen übergeordnete Provenienz beim Kantonsarzt zu suchen. - Im Rahmen der Erschliessung wurden die teilweise nach Bezirken, teilweise nach Gemeinden gebündelten Jahrgangspakete nach Munizpal- bzw. Einheitsgemeinden chronologisch und innerhalb der einzelnen Jahrgänge alphabetisch nach Hebammennamen geordnet. Bei verheirateten Hebammen blieb dabei der Mädchenname in der Reihenfolge unberücksichtigt. Dabei stellte sich heraus, dass sämtliche Tagebücher aus dem Bezirk Steckborn von 1899 bis 1917 fehlen.

Das ursprüngliche Findmittel wurde von Mai bis Dezember 1999 von Susanne Tobler erarbeitet; die Bearbeitungszeit betrug rund 350 Stunden.

Inhalt und innere Ordnung

Bewertung und Kassation:Kassierte oder anderweitig platzierte Unterlagen

Kassierte Unterlagen

· 9'1, 6, Arbon: Geburts- und Todesbescheinigungen 1908, 1930, 1933-1934, 1937. Diese Unterlagen wurden nach ihrer Auswertung vom Zivilstandsamt an den Bezirksarzt zurückgeschickt.

Anderweitig platzierte Unterlagen

Zwischen den eigentlich ablieferungspflichtigen Unterlagen, den Hebammentagebüchern und Entbindungstabellen, befanden sich weitere Akten, die wohl entweder versehentlich oder aus Unsicherheit dort abgelegt wurden. Sie wurden wie folgt neu zugeordnet:
· Bezirk Arbon: Schreiben des Kantonsarztes Dr. Emil Bär, Romanshorn, betr. die Tagebücher der Hebammen K. Eggimann, Romanshorn, und H. Brauchli, Kesswil, vom 28. Okt. 1958: 4'810; Jahresberichte des Bezirksarztes 1936 und 1965 sowie Geburts-, Ehe- und Sterbetabellen 1906, 1910, 1929-1930 und 1933-1938: 4'825.
· Bezirk Bischofszell: Bericht über die Hebammenversammlung 1942: 4'824; Jahresbericht des Bezirksarztes 1963: 4'825.
· Bezirk Diessenhofen: Jahresberichte des Bezirksarztes 1961, 1963, und 1965: 4'825.
· Bezirk Frauenfeld: Jahresbericht des Bezirksarztes 1961/62: 4'825.
· Bezirk Kreuzlingen: Schreiben des Bezirksarztes Dr. Ernst Gebhart, Kreuzlingen, betr. Erreichung der Altersgrenze der Hebamme M. Vögeli, Alterswilen, vom 4. Apr. 1934: 4'810; Berichte über die Hebammenprüfungen 1931, 1934, 1935 und 1936: 4'824; Jahresbericht des Bezirksarztes 1961: 4'825.
· Bezirk Münchwilen: Schreiben der Hebamme B. Bühler, Wil, betr. Einstellung der Berufsausübung, vom 20. Feb. 1961: 4'810; Berichte über die Inspektion der Hebammen 1930 und 1933: 4'824.
· Bezirk Steckborn: Schreiben der Hebamme M. Veciello, Adlikon, betr. geleitete Geburten 1955, vom 4. Aug. 1956, und Schreiben der Hebamme H. Eigenmann, Homburg, betr. Entbindungstabellen, vom 9. Okt. 1957: 4'810; Brief des Sanitätsdepartements vom 4. Apr. 1945 betr. TBC-Prophylaxe: 4'824.
· Bezirk Weinfelden: Berichte über Hebammen-Prüfung 1932, den Hebammen-Repetitionskurs 1934 und die Inspektion der Hebammenausrüstung 1942: 4'824; Jahresbericht des Bezirksarztes 1962: 4'825.
· Tabellen Geburtsmeldungen nach Bezirken 1930, 1933, 1939, 1941-1944, 1950-1952: 4'825.
· Impftabellen 1925, 1930, 1933-1939, 1941/42: 4'815.
· Listen und Tabellen "Ansteckende Krankheiten 1930, 1935, 1944"; Sperrliste des Armeekommandos Gruppe I c vom 21. Juni 1944: 4'813.
Ordnung und Klassifikation:Jedes Dossier enthält die Aufzeichnungen über die von der betreffenden Hebamme in einem Jahr geleiteten Geburten. - Die Namen der Vertreterin(nen) von Gemeindehebammen aus einer anderen Munizipalgemeinde oder einem anderen Kanton sind mit dem Kürzel "Stv." versehen. Dabei wird nicht unterschieden zwischen Gemeindehebammen und Privathebammen. - So konnte ohne Datenverlust einerseits dem Provenienzprinzip Rechnung getragen und die Arbeit jeder Hebamme, oft über Jahrzehnte, dokumentiert werden; anderseits bleibt auf diese Weise die demographische und genealogische Qualität der Unterlagen erhalten.

Aufgrund der oben gemachten Bemerkungen über die Arbeitsbedingungen der Hebammen empfiehlt es sich, bei der Suche nach einem Geburtseintrag immer auch die Nachbargemeinden zu berücksichtigen. Ferner ist zu bedenken, dass ungenaue Geburtsdatumseinträge nicht ganz auszuschliessen sind.

Zugangs- und Benutzungsbedingungen:

Rechtsstatus:Eigentum des Staatsarchivs des Kantons Thurgau.
Zitiervorschlag:Fussnote: StATG 9'1, */*

Quellenverzeichnis: StATG 9'1 Kantonsarzt, Hebammentagebücher 1899-1974

Sachverwandte Unterlagen:

Verwandte Verzeichnungseinheiten:4'802 Sanitätsdepartement allgemein: Allgemeine Akten

4'810 Medizinalwesen: Medizinalpersonen

4'825 Kantons- und Bezirksärzte allg.: Bezirksärzte, Jahresberichte

4'83 Bezirksärzte: Protokolle

4'880 Medizinalwesen: Medizinalpersonen: Etats
Veröffentlichungen:Bohner, Brigitte Yvonne: Zur Ausbildung und Tätigkeit der Zürcher Hebammen im 19. Jahrhundert, Zürich 1989.

Danuser, Regula: Die Hebamme in der Beziehung zur Gebärenden vom 16. Jahrhundert bis heute, o. O. 1992.

Düssli, Hans: Das Armenwesen im Kanton Thurgau seit 1803, Frauenfeld 1948.

Gonzenbach, Roger: Spitalchronik Frauenfeld 1897 bis 1997, Frauenfeld 1996.

Universitätsbibliothek der FU Berlin (Hrsg.): Die Hebamme im Spiegel der Hebammenlehrbücher: Bücher, Bilder, Dokumente, Berlin 1985.

Verein Thurgauerinnen gestern - heute - morgen (Hrsg.): Bodenständig und grenzenlos: 200 Jahre Thurgauer Frauengeschichte(n), Frauenfeld 1998.

Verzeichnis der Ortschaften des Kantons Thurgau, hrsg. von der Staatskanzlei des Kantons Thurgau, Frauenfeld 1921.
 

Usage

End of term of protection:12/31/1994
Permission required:Keine
Physical Usability:uneingeschränkt
Accessibility:Oeffentlich
 

URL for this unit of description

URL: https://query-staatsarchiv.tg.ch/detail.aspx?ID=63982
 

Social Media

Share
 
Home|Shopping cartno entries|Login|de en fr it
State Archive Thurgau Online queries