9'2 Arbeitserziehungsanstalt Kalchrain 1851-1980, 1851-1980 (Abteilung)

Archive plan context


Identifikation

Ref. code:9'2
Title:Arbeitserziehungsanstalt Kalchrain 1851-1980
Creation date(s):1851 - 1980
Entstehungszeitraum, Streudaten:1845 - 1997
Level:Abteilung

Umfang

Number:337

Kontext

Provenienz:Arbeitserziehungsanstalt Kalchrain.
Verwaltungsgeschichte/Biografische Angaben:Allgemeines

Einige Jahre nach der Gründung der Anstalt Kalchrain äussert sich der Regierungsrat des Kantons Thurgau folgendermassen über die Zwangsarbeitssträflinge:
"[...] an Ungebundenheit, Müssiggang, schlimme Streiche und Trotz von jeher gewöhnt, gehorcht diese Klasse von Menschen nur durch Zwang, und je mehr die Idee, es sei ihnen durch die Aufnahme in die Anstalt ein grosses Unrecht geschehen - und ihre Zahl ist nicht gering - vorwaltet, desto schwieriger ist es, sie auf dem rechten Weg zu halten und ihren Trotz zu brechen, ja man muss sich in der Regel damit zufrieden geben, wenn dieser Erfolg erreicht wird." (RBRR 1855, S. 71.)

Über ein Jahrhundert später, 1972, blickt eine ehemalige Betreuerin auf ihre Tätigkeit in der Anstalt Kalchrain zurück: "[...] Schlüssel auf, Schlüssel zu. Er ist ein Zeichen des Misstrauens, und ich hasse ihn. Zum Glück hatten sich Clairlie, Ruth und Vreni schon daran gewöhnt. Jemand hatte es verpasst, aus diesen drei Menschen zu machen, hatte es auch verpasst, ihnen nur den Anstoss dazu zu geben. Deshalb musste ich mich über sie setzen, musste streng sein, durfte aber nicht hart werden. Es war für mich schwer, dieses Gleichgewicht zu finden, besonders weil ich vielleicht zu schnell jemandem Vertrauen schenke. Ich bin überzeugt, dass dann das gegenseitige Vertrauen wuchs. Jetzt hoffe ich sehr, auch dazu beigetragen zu haben, dass sie nicht mehr glauben, man werde nur enttäuscht von den andern." (9'2, 5/18.)

Diese Zitate zeigen, wie weit die ethischen Argumente reichen, mit denen die angebliche Notwendigkeit der Institution "Kalchrain" begründet wurde. Schon die gesetzlichen Grundlagen zur Gründung der Anstalt waren nicht frei von Widersprüchen. Als Hauptzweck der Zwangsarbeitsanstalt wurde bestimmt, dass "Personen, welche sich einem liederlichen, oder ausschweifenden oder arbeitsscheuen Lebenswandel ergeben und dadurch ihren Heimatgemeinden zur Last zu fallen drohen, zu strenger Arbeit angehalten und wo möglich wieder an ein thätiges Leben gewöhnt werden" (Kbl Bd. 5, S. 437). Das Argument der "Hilfe zur Selbsthilfe" - die so genannten Detenierten sollten befähigt werden, sich ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen und nicht mehr von der Armenpflege abhängig zu sein - stand gleichberechtigt neben demjenigen des "Egoismus der Gemeinschaft": Die Eingewiesenen sollten den Gemeinden nicht mehr "zur Last fallen". Dazu kam immer auch eine gewisse moralische Erhabenheit der "Rechtschaffenen" und "Tüchtigen", die es im Leben "zu etwas gebracht hatten", über die "Liederlichen" und "Arbeitsscheuen", die sich den bürgerlichen sittlichen Konventionen entzogen und dadurch ein öffentliches Ärgernis darstellten.
Die von einer gesellschaftlichen Mehrheit getragenen Normen und Werte haben sich seit 1851 gewandelt. Wurde im schlimmsten Fall das Brechen des "Trotzes" zum Selbstzweck erhoben, das notfalls mittels Stockstreichen und Nahrungsentzug erzwungen wurde, steht heute der pädagogische und therapeutische Gedanke bei der Nacherziehung, beruflichen Ausbildung, Suchtbehandlung und psychologischen Therapie im Vordergrund. Dennoch ist der angesprochene argumentative Widerspruch nicht aufgelöst. Noch immer werden die jugendlichen Delinquenten zu ihrem eigenen Besten - und dem der Gesellschaft - nach Kalchrain "eingewiesen"...
Aus heutiger Sicht stossend ist die Tatsache, dass bis 1976 allein der Regierungsrat über Einweisungen und vorzeitige Entlassungen entschied. Bis 1966 geschah dies auf Antrag der Kirchenvorsteherschaft, danach der Fürsorgebehörde. Entlassungsgesuche oder Beschwerden der Detenierten entschied der Regierungsrat fast ausnahmslos im Sinn des jeweiligen Verwalters. Erst seit der Verordnung des Regierungsrates vom 5. Juli 1976 besteht für die AnstaltsinsassInnen eine echte Rekursmöglichkeit, da die Einweisungsbefugnis seither bei der Polizei, den Vollzugsbehörden und den Jugendanwaltschaften liegt und das Einweisunsgverfahren in die Rechtsordnung eingebunden ist.
Historischer Abriss

Nach der Aufhebung des Zisterzienserinnenklosters Kalchrain 1848 beschloss der Regierungsrat, in dessen Räumlichkeiten eine kantonale Zwangsarbeitsanstalt für rund 70 Frauen und Männer ab 16 Jahren (unter "strengster Sönderung der Geschlechter") einzurichten. Die Anstalt sollte einerseits "liederliche und arbeitsscheue" Personen aufnehmen, anderseits, unter etwas weniger strengen Bedingungen (und durch andere Kleidung kenntlich gemacht) solche, die Geldbussen oder Gebühren abzuverdienen hatten. Nicht aufgenommen wurden Geisteskranke in ärztlicher Behandlung, Taubstumme, an ansteckenden Krankheiten Leidende oder dauernder ärztlicher Pflege Bedürftige sowie schwangere oder stillende Frauen. Über die Aufnahme und Entlassung von Personen entschied der Regierungsrat auf Antrag der Kirchenpflegschaften der Wohngemeinden bzw. der Gerichts- und Polizeibehörden, wenn es sich um das Abverdienen von Judizialkosten handelte.

Die Anstalt wurde finanziert aus dem Ertrag des Gutsbetriebs, aus Verpflegungsgeldern, die von den Heimatgemeinden der InsassInnen aufgebracht werden mussten, sowie aus Zuschüssen des Kantons (Gesetzessammlung für den Kanton Thurgau, Bd. 4, S. 93-95).

In den Strukturen von 1849 bestand die Anstalt über hundert Jahre lang, nach der Einführung des neuen Strafgesetzbuchs 1942 allerdings unter dem Namen Arbeitserziehungsanstalt (vgl. 9'2, 0/9) und ab 1956 zusätzlich institutionell gestützt durch die Vereinbarung von acht Ostschweizer Kantonen über den Vollzug von Strafmassnahmen (StATG 3'00'423, § 950, 8. Mai 1956). Während des Zweiten Weltkriegs und in den Jahren nach 1956 erfüllte Kalchrain eine zusätzliche Funktion als Internierungslager.

Es ist unklar, ob schon während des Ersten Weltkrieges Ausländer in Kalchrain interniert wurden. Der Brief der Kriegsgefangenen-Internierung Region St. Gallen-Appenzell vom 20. Januar 1917 an das Thurgauer Polizeidepartement belegt wenigstens eine Versetzung eines Internierten in die "Strafkolonie Kalchrain" (vgl. StATG 4'439'0, Dossier 1916/17). - Während des Zweiten Weltkriegs war Kalchrain zunächst ein "Internierten-Straf-Arbeitslager", wurde dann aber nach einer Meuterei polnischer und belgischer Internierter nur noch als "Interniertenlager" bezeichnet (vgl. den Rapport des Hüttwiler Polizisten Rutishauser vom 14. März 1941 in StATG 4'517'1; eine undatierte Abschrift der "Vorschriften und Weisungen über die Behandlung der in der thurgauischen ZAA Kalchrain untergebrachten internierten Kriegsgefangenen" findet sich in StATG 4'561'7). - In der Zeit von 1956 bis 1960 diente Kalchrain als Durchgangsstation u. a. für ca. 60 Flüchtlinge aus Ungarn, die in der Regel während eines halben Jahres in Kalchrain interniert wurden und häufig auszureissen versuchten (vgl. 9'2, 6/10).

Eine grundlegende Umstrukturierung wurde 1970 eingeleitet: Ab 1972 wurden nur noch Männer aufgenommen, und verschiedene Anpassungs- und Ausbauarbeiten, durch die Kalchrain die Berechtigung für den Bezug von Bundessubventionen erlangte, wurden vorgenommen. Im Verlauf der folgenden, 1980 abgeschlossenen Evaluations- und Planungsphase wurde das heute bestehende Konzept der Arbeitserziehungsanstalt entwickelt (Informationsprospekt der AEA Kalchrain, ca. 1995). Kalchrain dient nun dem Vollzug von Massnahmen an Jugendlichen und längeren Einschliessungsstrafen sowie als Vollzugsanstalt für Arbeitserziehung und Versorgung (RB Thurgau 340.3 und 342.3). Vom Anstaltstypus her ist die AEA Kalchrain eine Einrichtung zur Nacherziehung, Beobachtung und Abklärung.
Verwaltungsgeschichte i. e. S.

Anlässlich der Beratung der Aufsichtsgremien für die Zwangsarbeitsanstalt Kalchrain 1851 stellte sich dem Regierungsrat auch die Frage nach der Departementszugehörigkeit dieser Institution. Er beschloss, "dass neben dem Chef des Polizeidepartements noch zwei ausserhalb der Mitte des Regierungsrathes zu berufende Sachkundige die Aufsichtscommission zu bilden haben sollen" (vgl. StATG 3'00'98, § 2505, 23. Aug. 1851. - In StATG 8'903, Bericht [der Gemeinnützigen Gesellschaft] über den Zustand der Straf- und Zwangsarbeitsanstalten des Kantons Thurgau, Frauenfeld 1864, S. 18, wird irrtümlich behauptet, dass der Aufsichtskommission zunächst nur zwei Mitglieder angehörten; später sei die Kommission um das dem Polizeidepartement vorstehende Regierungsratsmitglied ergänzt worden). Bis auf die Zeit von 1861 bis 1875 gehörte die Anstalt stets dem Polizeidepartement an.

Im Unterschied zur Strafanstalt Tobel (1809-1973) und zum Kantonalgefängnis Frauenfeld, die beide ausschliesslich der Verwahrung verurteilter StraftäterInnen dienten, verfolgte man mit der Führung der Zwangsanstalt Kalchrain immer auch erzieherische, sozial- und ordnungspolitische Ziele.
Diese wurden institutionell vor allem sichtbar, als Kalchrain zwischen 1861 und 1875 dem Vormundschaftsdepartement zugeteilt war (vgl. Abl TG 1861, S. 256 bzw. S. 305, und Abl TG 1875, S. 72 bzw. S. 82). Während die Strafanstalt Tobel ab 1861 und das Kantonalgefängnis ab 1870 dem Justizdepartement unterstanden, blieb die Zwangsarbeitsanstalt Kalchrain ab 1875 dem Polizeidepartement unterstellt, und zwar bis zur Zusammenlegung der beiden Departemente 1898. Das ist der Grund dafür, dass man übergeordnete Unterlagen heute vor allem in Bestand 4'5 findet.

Departementszugehörigkeit der Anstalt
(Jahr; Amtsbezeichnung; Departementszugehörigkeit)

1851; Zwangsarbeitsanstalt Kalchrain; Polizeidepartement
1861; Zwangsarbeitsanstalt Kalchrain; Departement für Vormundschafts-, Armen-, Erziehungs- und Kirchenwesen, für Landwirtschaft, Handel und Gewerbe
1864; Zwangsarbeitsanstalt Kalchrain; Departement für Vormundschafts- und Armenwesen, Landwirtschaft, Handel und Gewerbe
1870; Zwangsarbeitsanstalt Kalchrain; Departement für Vormundschaft und Armenwesen
1875; Zwangsarbeitsanstalt Kalchrain; Polizeidepartement
1898; Zwangsarbeitsanstalt Kalchrain; Justiz- und Polizeidepartement
1930; Zwangsarbeitsanstalt Kalchrain; Justiz-, Polizei- und Armendepartement
1942; Arbeitserziehungsanstalt Kalchrain;
1956/59; Arbeitserziehungsanstalt Kalchrain; Justiz-, Polizei-, Kirchen und Armendepartement
1968/72; Arbeitserziehungsanstalt Kalchrain; Justiz-, Polizei-, Kirchen-, Fürsorge-, Fischerei- und Vormundschafts-Departement
1977; Arbeitserziehungsanstalt Kalchrain; Justiz-, Polizei und Fürsorgedepartement
1991; Arbeitserziehungsanstalt Kalchrain; Departement für Justiz und Sicherheit
Betrieb und Aktenführung

Unter der Leitung eines vom Regierungsrat gewählten Hausvaters hatten die InsassInnen der Anstalt den Gutsbetrieb zu bewirtschaften und waren an Sonn- und Feiertagen sowie bei Wetter, das keine Feldarbeit zuliess, mit Lese- und Schreibunterricht zu beschäftigen - eine Bestimmung, die 1881 ersetzt wurde durch die Forderung nach angemessener geistiger Beschäftigung bei diesen Gelegenheiten. Die Aufsicht über die Anstalt führte ab 1852 (StATG 3'00'99, § 337, 4. Feb. 1852, Beschluss zur Bestellung der Aufsichtskommission; die zugehörige "Instruction für die Aufsichts-Commission" findet sich in StATG 4'561'0, Dossier 1852; § 427, 14. Feb. 1852, Ablehnung von Kantonsrat Jakob Albecht, Einsitz zu nehmen; und § 738, 13. März 1852, Berufung von Kantonsrat Oettli - nicht zu verwechseln mit dem Hausvater J. H. Oettli! - in die Kommission) eine vom Regierungsrat eingesetzte Kommission; die Oberaufsicht über Kalchrain stand dem Regierungsrat zu. Der Hausvater besass die Disziplinargewalt bei leichteren Fällen von Verstössen gegen die Hausordnung, wobei er als Strafmassnahmen Arrest, Nahrungsreduktion und Ruten- oder Stockstreiche verhängen konnte. Zur Kontrolle über die InsassInnen hatte der Hausvater nach den Reglementen von 1849 und 1881(Reglement für die Zwangsarbeitsanstalt in Kalchrain vom 17. Mai 1851. In: Gesetzessammlung für den Kanton Thurgau, Bd. 4, S. 96-105. Geringfügig überarbeitet wurde das Reglement am 11. Feb. 1881 wieder verabschiedet (vgl. Neue Gesetzessammlung für den Kanton Thurgau, Bd. 3, S. 411-420)) die folgenden Unterlagen zu führen:

- ein Tagebuch über den Eintritt und die Entlassung der in die Anstalt aufgenommenen Personen (Detentionskontrolle)
- ein Verzeichnis der von ihnen in die Anstalt gebrachten und ihnen wieder zurückgestellten Effekten (ob tatsächlich einmal ein spezielles Effektenverzeichnis geführt wurde, liess sich bei der Erschliessung des vorliegenden Bestandes nicht ermitteln. Hingegen wurden die von den Detenierten mitgebrachten Effekten in den Signalementbüchern verzeichnet (9'2, 6/12-6/25)

- ein Signalementbuch, worin der Name, der Stand, die Heimat sowie die Personenbeschreibung der in die Anstalt aufgenommenen Individuen enthalten sein sollten
- ein (verschollenes) Conduitenbuch mit Vormerkung der gegen die Detenierten angewandten Disziplinarstrafen
- ein Inventar über das Mobiliar der Anstalt
- ein Kassabuch (die Kassabücher sind nicht erhalten)

Weitere Vorschriften zur Aktenführung in der AEA Kalchrain sind nicht bekannt.
Anstaltsleiter (eingesetzt vom Regierungsrat)

1851: Joh. Heinrich Oettli
1865: Jakob Büchi
1883: Johannes Rieser
1924: Adolf Rieser (Nachruf in TJb 1969, S. 118)
1953: Bernhard Conrad
1963: Max Rindlisbacher
1996: Otto Kliem
Bestandsgeschichte:Der vorliegende Bestand gelangte in mehreren Teilablieferungen ins Staatsarchiv des Kantons Thurgau. Die Überlieferungsgeschichte ist nur noch teilweise rekonstruierbar, da sie ungenügend dokumentiert wurde.
- Aus den "frühen" Aufzeichnungen des Staatsarchivs geht lediglich hervor, dass am 24. August 1945 Kalchrainer Einweisungsakten aus dem Zeitraum 1860-1885 in die Kartonfabrik Laager, Bischofszell, zur Vernichtung abgeführt wurden.
- Am 30. Juni 1982 übernahm das Staatsarchiv 10 Schachteln InsassInnen-Akten aus dem 19. Jahrhundert (von denen ein Teil möglicherweise aus Tobel stammte). Diese Akten sind seit spätestens 1995 aus ungeklärten Gründen nicht mehr auffindbar. Ausserdem gelangten 3 Bände Detentionskontrollen ins Staatsarchiv, von denen 2 Bände aber schon nach acht Monaten "wegen häufigen Gebrauchs" zurück nach Kalchrain gebracht wurden. Es scheint, dass der im Staatsarchiv verbliebene Band identisch ist mit 9'2, 6/8.
- Am 13. Mai und am 11. Juni 1996 gelangten zwei weitere Teilablieferungen ins Staatsarchiv, die den Grossteil des vorliegenden Bestandes ausmachen (vgl. das entsprechende Ablieferungsprotokoll).
- Am 15. Juli 1999 erfolgte die Nachlieferung der Belegbände von 1851 und 1861 (9'2, 3/0 und 3/1).
Die Dossiers 9'2, 3/2-3/5, wurden wegen starken Schimmelpilzbefalls Anfang November 1999 durch die Firma Desinfecta, Dällikon, mit Ethylenoxid begast. 9'2, 3/0 und 3/1, hatten zusammen mit 14 anderen Belegbänden vor 1995 einen Wasserschaden erlitten und waren durch Kalchrainer Angestellte umgehend in den Gefrierraum der Anstalt befördert worden. Sie wurden zwischen Juli und Oktober 1999 durch die Firma Aquawork, Seftigen, gefriergetrocknet und nachträglich ebenfalls begast.
Wegen stärkeren mechanischen Schäden werden die Dossiers 9'2, 6/6, 6/9, 6/14 und 6/16 im Jahr 2000 von Frau Agatha Ebneter, Warth, restauriert werden.
Bei der Entwicklung des Erschliessungskonzepts stellte sich die Frage, ob die Massenakten von 9'2, 6, durch die Bildung eines Samples auf ein überschaubares Mass reduziert werden sollten. Die Personendossiers wurden deshalb stichprobenartig nach verschiedenen Kriterien untersucht. Am 27. August 1999 entschieden sich Archivleitung und Bearbeiter dafür, die Personenakten integral zu erhalten. Dabei waren verschiedene Gründe massgeblich, u. a. die sozialgeschichtliche Bedeutung des vorliegenden Bestandes aus Thurgauer Sicht. Auch die Möglichkeit, dass durch ein Sampling wertvolle Quellen zu nicht spezifischen "Kalchrainer" Fragen (z. B. "Kinder der Landstrasse") verloren gehen könnten, war mit ein Grund für diesen Entscheid.
Hingegen bestanden keinerlei Bedenken, die Belegbände in 9'2, 3, einem Sampling zu unterziehen, da dabei keine wertvollen Quellen verloren gingen: Die Informationen der Belege sind, wie Stichproben gezeigt haben, auch in den Betriebsrechnungen zu Kalchrain (StATG 4'330) enthalten.
Zur Erschliessung standen zusätzlich zum vorliegenden Bestand Fotokopien der Detentionskontrolle vom 25. Nov. 1976 bis 16. Jan. 1989 (Nrn. 6265-6974) zur Verfügung; das Original wird Bestandteil der nächsten Ablieferung sein.

Das ursprüngliche Findmittel wurde durch Manfred Spalinger vom 17. Juni bis am 24. Dezember 1999 erarbeitet. Die Bearbeitungszeit betrug rund 420 Stunden.
Die Abschnitte über Verwaltungsgeschichte, Departementszugehörigkeit sowie Betrieb und Aktenführung stammen aus der Feder von Jürg Schmutz.
Direktübernahme von Provenienzstelle:Ja.

Inhalt und innere Ordnung

Bewertung und Kassation:Kassierte oder anderweitig platzierte Unterlagen

Kassierte Unterlagen
- 9'2, 1: Kopie eines Artikels von Robert Bauder: Le nouvel établissement pénitiaire intercantonal pour femmes à Hindelbank (Suisse). (SD aus der Revue Internationale de politique criminelle, Nr. 17-18 (aus Dossier 1/0 wegen Wasserschadens); Kopie einer Publikation des Service Pénitiaire des Département de la Justice et de la Police et des Affaires Militaires, Orbe: Etablissements de la plaine de l'Orbe (aus Dossier 1/0, wegen Wasserschadens)
- 9'2, 3: Die Dossiers 3/0-3/5 bilden ein Sample aus ursprünglich 38 Bänden. Mehrere Belegbände wiesen einen Wasserschaden auf oder waren von Schimmelpilz befallen. Für das Sample wurden möglichst gut erhaltene Exemplare in zeitlichen Abständen von ca. 10 Jahren ausgewählt. - Die folgenden Belegbände wurden kassiert: 1852, 1854-1860, 1862-1869, 1873-1880, 1882-1890, 1892, 1896; überdies die Bände Belege II 1899; Ausgabenbelege 1900. - Ferner wurden kassiert: Kopie der Betriebsrechnung 1965 der AEA Kalchrain (Original: StATG 4'330'121); Kopie des Inventars 1875-1878 (vgl. Dossier 3/17); Kopie des Bundesgesetzes über Bundesbeiträge an Strafvollzugs- und Erziehungsanstalten vom 6. Okt. 1966
- 9'2, 4: Übersichtskarte "Anstaltsgut Kalchrain" 1 : 4000 (2 Exemplare); "AEA Kalchrain Lageplan" 1 : 1000, gezeichnet durch P. Büchi, Nov. 1946; Planzeichnung "Hochspan-nungs-Kabelverlegung Kalchrain" 1 : 500, vom 1. Juni 1956; Planzeichnung "Domäne Kalchrain, Vorschlag für den Ausbau der Detenierten Zimmer" 1 : 100, von P. Büchi, Amriswil, Mai 1955; "Zwangsarbeitsanstalt Kalchrain, Leitungsplan" 1 : 500, o. J.; AEA Kalchrain, Grundriss Erdgeschoss 1 : 100, von P. Büchi, Amriswil, Juni 1954/April 1956; AEA Kalchrain, Grundriss I. Stock 1 : 100, von P. Büchi, Amriswil, April 1956; AEA Kalchrain, Teil-Grundriss II. Stock 1 : 100, von P. Büchi, Amriswil, Juni 1955; AEA Kalchrain, Grundriss Dachstock 1 : 100, von P. Büchi, Amriswil, Nov. 1946 (die Grundrisse befinden sich als Originale beim Hochbauamt); 5 Fotos s/w des Thurhochwassers vom 13. Jan. 1936; 3 Dias f einer beschädigten Komposteinfassung aus Beton
- 9'2, 6: Die Dossiers 6/29-6/32 bilden ein Sample aus ursprünglich elf Bänden Wächterkontrollen. Hierfür wurden die vier besterhaltenen Exemplare ausgewählt; die übrigen sieben Bände aus dem Zeitraum von 1860 bis 1880 wurden kassiert. Ferner wurden aus Dossier 6/5171 ein abgebrochener Schlüssel und aus Dossier 6/5993 eine Spritzennadel entfernt.
- 9'2, 8: Amtsblatt des Kantons Thurgau (zahlreiche, teils von Schimmelpilz befallene Einzelnummern, 1871-1873); Landwirthschaftliche Zeitung. Organ des schweiz. landwirthschaftlichen Vereins (einzelne Nummern der späten 1860er- und frühen 1870er-Jahre); Weinprämierung anlässlich der Schweizerischen Landesausstellung 1964 in Lausanne (Diplom Goldmedaille für die AEA Kalchrain); Concours de Fournisseurs de Crème anlässlich der Schweizerischen Landesausstellung 1964 in Lausanne (Diplom Silbermedaille für die AEA Kalchrain)

Anderweitig platzierte Unterlagen
- 9'2, 2: StATG 4'560'1 (alte Signatur) wurde als Dossier 2/19 in den vorliegenden Bestand integriert
- 9'2, 4: 4 kolorierte Planzeichnungen zu den Ökonomiegebäuden von 1859 wurden in die Karten- und Plansammlung umplatziert (StATG, Karten und Pläne Nrn. 1638-1641)
- 9'2, 6: Die Detentions-Kontrolle 1928-1942 (alte Signatur: StATG 4'562'3) wurde als Dossier 6/8 in den vorliegenden Bestand integriert
- 9'2, 8: Thurgauische Blätter für Landwirthschaft, Einzelnummern, wurden an die Kantonsbibliothek weitergegeben (Signatur: L 47)

Zugangs- und Benutzungsbedingungen:

Rechtsstatus:Eigentum des Staatsarchivs des Kantons Thurgau.
Zitiervorschlag:Fussnote: StATG 9'2, */*

Quellenverzeichnis: StATG 9'2 Arbeitserziehungsanstalt Kalchrain 1851-1980

Sachverwandte Unterlagen:

Verwandte Verzeichnungseinheiten:4'217, Bau und Versicherungen: Hochbau, Zwangsarbeitsanstalt Kalchrain

4'3, Finanzdepartement allgemein: Domänenverwaltung

4'3, Finanzdepartement allgemein: Inventarien

4'330, Finanzverwaltung: Staatsanstalten, Betriebsrechnungen AEA Kalchrain

4'503, Polizeidepartement allgemein: Allgemeine Akten Kalchrain

4'517'1, Polizeidepartement: Sicherheits- und Fremdenpolizei

4'560, Polizeidepartement: AEA Kalchrain, Protokoll der Aufsichtskommission

4'561, Polizeidepartement: AEA Kalchrain, Akten

4'562, Polizeidepartement: AEA Kalchrain, Detentionskontrollen (Duplikate von 9'2, 9/1-9/2)

4'942, Armenwesen: Anstalten, Kalchrain

4'944, Armenwesen: Armenpolizei, Massnahmen gegen Unterstützungsbedürftige

Kalchrain 1867-1894

4'996, Kirchendepartement: Kath. Landeskirche, Seelsorge in Staatsanstalten, Dossier IX, Kalchrain

8'903, Thurgauische Gemeinnützige Gesellschaft: Strafwesen, Katastrophenhilfe

Aa 4'42, ELK TG: Anstaltspastoration AEA Kalchrain

Ba 4'42, KLK TG: Anstaltspastoration AEA Kalchrain
Veröffentlichungen:Forschungsstand

Die Geschichte der AEA Kalchrain wurde lange Zeit überhaupt nicht erforscht. Den ersten Versuch eines historischen Überblicks machte 1956 der damalige Anstaltsleiter Bernhard Conrad mit seinem Aufsatz "Die thurgauische Arbeitserziehungsanstalt Kalchrain in geschichtlicher Beleuchtung", der aber den elementarsten Anforderungen an historische Forschungsarbeiten nicht genügt. In den 1970er-Jahren war die Anstalt Kalchrain Gegenstand mehrerer sozialpädagogischer Untersuchungen. Den Auftakt machte der Anstaltspsychiater Werner Künzler mit einer Studie, die den Zeitraum von 1967 bis 1973 abdeckt. Die statistischen Ergebnisse davon sind in RBRR 1973, S. 141-145, wiedergegeben und kommentiert. In den Jahren 1975 bis 1981 nahm die AEA Kalchrain an verschiedenen Forschungsprojekten der Universität Zürich und der Zürcher Bezirksjugendanwaltschaft teil (vgl. 9'2, 1/7-1/11), doch galten diese Untersuchungen nicht explizit der Anstalt selbst. Als bisher einzige Historikerin befasste sich Sabine Lippuner in mehreren Arbeiten eingehend mit der Anstalt Kalchrain. Sie untersuchte Gründung und Anfangszeit der Zwangsarbeitsanstalt und kam so zu interessanten sozialgeschichtlichen Schlüssen.

Literatur

- Bericht über den Zustand der Straf- und Zwangsarbeitsanstalten des Kantons Thurgau, erstattet an die Direktion der Schweizerischen gemeinnützigen Gesellschaft im Sommer 1863, Frauenfeld 1864.
- Düssli, Hans: Das Armenwesen des Kantons Thurgau seit 1803, Frauenfeld 1948, S. 145-146.
- Conrad, B[ernhard]: Die thurgauische Arbeitserziehungsanstalt Kalchrain in geschichtlicher Bedeutung. In: Hundert Jahre Thurgauischer Schutzaufsichtsverein, 1857-1957. Jahresbericht 1956, Frauenfeld 1956, S. 45-53.
- Denkmalpflege des Kantons Thurgau (Hrsg.): Hinweisinventar alter Bauten und Ortsbilder im Kanton Thurgau: Hüttwilen, Frauenfeld 1988.
- Häberlin, J[ohann Jakob]: Der Kanton Thurgau in seiner Gesammtentwicklung vom Jahr 1849-1869. Frauenfeld 1876, S. 271-277.
- Kalchrain, Arbeitserziehungsanstalt des Kantons Thurgau [Informationsprospekt, ca. 1995].
- Lippuner, Sabine: "Streng sei die Hausordnung, aber human der Geist, der sie leite". Die Entstehungs- und Vollzugsbedingungen der thurgauischen Zwangsarbeitsanstalt Kalchrain im 19. Jahrhundert, Lizentiatsarbeit, Universität Zürich 1998.
- Lippuner, Sabine: "Man musste strenge arbeiten, erhielt geringe Kost...". Ein Versuch über die Anfänge der Arbeitserziehungsanstalt Kalchrain aus Anlsss ihres 150-jährigen Bestehens, Kalchrain 2001.
- Lippuner, Sabine: Bessern und Verwahren. Die Praxis der administrativen Versorgung von "Liederlichen" und "Arbeitslosen" in der thurgauischen Zwangsarbeitsanstalt Kalchrain (19. und frühes 20. Jahrhundert), Frauenfeld 2005 (Thurgauer Beiträge zur Geschichte; 142).
- Zurbuchen, Theophil: Die Anfänge der organisierten psychiatrischen Versorgung im Kanton Thurgau 1798-1840. Von der Versorgung im Zucht- und Arbeitshaus zur Gründung der Irrenanstalt Münsterlingen, Magisterarbeit, Universität Konstanz 1984 [befasst sich u. a. mit Tobel (vgl. StATG 9'4) als Vorläuferinstitution Kalchrains].
 

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Accessibility:Oeffentlich
 

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