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9'4 Strafanstalt Tobel 1811-1973, 1811-1973 (Abteilung)
Identifikation |
Ref. code: | 9'4 |
Title: | Strafanstalt Tobel 1811-1973 |
Creation date(s): | 1811 - 1973 |
Entstehungszeitraum, Streudaten: | 1781 - 1973 |
Level: | Abteilung |
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Kontext |
Name der Provenienzstelle: | Strafanstalt Tobel |
Verwaltungsgeschichte/Biografische Angaben: | Geschichtlicher Abriss
Nachdem der Kanton Thurgau 1803 die volle Eigenstaatlichkeit erreicht hatte, stellte sich neben vielen anderen Fragen auch diejenige nach der Strafrechtspflege. Der Versuch, thurgauische StraftäterInnen ihre Strafe in anderen Kantonen und in Deutschland verbüssen zu lassen (StATG 4'682), scheiterte 1808. Die zurückkehrenden DelinquentInnen wurden vorerst im provisorischen Gefängnis im Schloss Frauenfeld untergebracht (StATG 4'683). 1811 entschloss sich die Kantonsregierung, einem Vorschlag der Finanzkommission zu folgen und in den Gebäuden der ehemaligen Johanniterkomturei Tobel eine "Zuchthausanstalt" einzurichten. Sie beauftragte die Finanzkommission mit den nötigen baulichen Massnahmen (RRB 65 vom 11. Januar 1811). Ebenso stimmte der Kleine Rat dem Entwurf der Finanzkommission einer Verordnung betr. "die organischen Einrichtung des Verwaltungswesens" der Strafanstalt zu (RRB 64 vom 11. Januar 1811).
Als Personal waren ein Zuchtverwalter, ein Schaffner "nebst Familie" sowie bei Bedarf ein Knecht und eine Magd vorgesehen. Dazu kamen eine oder mehrere Polizeiwachen. Der Verwalter war die Schnittstelle zwischen Strafanstalt und Regierung. Zwar genoss er zahlreiche Privilegien, war gegenüber dem übrigen Personal weisungsbefugt und konnte in Konfliktsituationen stets der Loyalität des Kleinen Rates gewiss sein. Doch dafür schaute ihm die Regierung auch peinlich genau auf die Finger, besonders was die Finanzen der Strafanstalt anging.
Die Aufsicht über die Strafanstalt lag bei der aus drei Regierungsmitgliedern bestehenden Zuchthauskommission, der gegenüber der Verwalter rechenschaftspflichtig war (StATG 4'686).
Diese Verordnung wurde durch das Polizeireglement für die Zucht- und Arbeitsanstalt (RRB 2021 vom 11. September 1812) ergänzt, das die Dienstpflichten des Personals - nun aus dem Zuchthausverwalter, dem Zuchtmeister,der zweiten Polizeiwache, Polizeidienern und dem Schaffner bestehend - sowie Verhaltensvorschriften für die InsassInnen enthält.
Beim Eintritt in die Strafanstalt hatte der Zuchthausverwalter den "Züchtlingen" zu eröffnen, "dass nur durch Fleiss und Rechtschaffenheit und ein untadelhaftes Betragen die Begnadigung der Hohen Regierung nach Befinden der Umstände bewirkt werden kann; dass dagegen aber im Fall einer Flucht die schon ausgestandene Strafzeit nicht angerechnet und dass der Entsprungene bei seiner Wiedereinbringung nicht nur mit 6 Streichen gezüchtigt würde, sondern noch eine Kriminalsentenz zu erwarten habe." Danach nahm man ihnen die persönlichen Habseligkeiten ab, schor ihnen den Kopf und steckte sie in Zuchthauskleider. Es war den InsassInnen verboten, leise oder auf verdächtige Weise miteinander zu sprechen und ohne Erlaubnis des Zuchthausverwalters Briefe zu schreiben oder zu erhalten.
Das Reglement sah vor, dass die InsassInnen im Sommer während 10,5 Stunden, im Winter mindestens eine Stunde weniger nach Anweisung des Schaffners arbeiteten. Die Arbeit in der Weberei und and |
| eren Betrieben sowie auf dem Gutshof ermöglichte einerseits die Selbstversorgung der Strafanstalt, anderseits bedeutete der Verkauf von Produkten eine wichtige Einnahmequelle. Dabei wurden die InsassInnen ständig vom Zuchthauspersonal überwacht. Die Polizeiwache war befugt, kleinere Disziplinarvergehen auf der Stelle mit 3 bis 6 Streichen zu bestrafen und auf Flüchtige zu schiessen. Schwerere Verfehlungen wurden auf Anordnung des Verwalters mit Nahrungsentzug, Haftverschärfung, "Anschliessung" oder 12 Streichen mit dem Ochsenziemer bestraft. Höhere Strafen durften nur von der Zuchthauskommission angeordnet werden.
Spätere Neufassungen der Gesetze und Reglemente brachten kleinere und grössere Änderungen der Organsiation der Anstalt und der Strafbestimmungen mit sich, doch blieben sie im Wesentlichen bis zur Aufhebung der Strafanstalt 1973 unverändert. Besondere Erwähnung verdient das Jahr 1837 (Gebot des Stillschweigens bis 1973; Einführung eines Sträflingslohns, des so genannten "Arbeitsgeschenks"). Die "körperliche Züchtigung" wurde als unerlässliches Disziplinierungsmittel betrachtet (RBRR 1858, S. 107: "Die Rute ist zwar ein unnatürliches Mittel der Zucht, mitunter aber doch sehr wohltätig.") und wurde auch nach 1877, als ihre Verfassungsmässigkeit angezweifelt wurde, beibehalten (RBRR 1879, S. 71). Sie wurde zwar 1894 letztmals angewandt, blieb aber bis 1973 als Strafmöglichkeit vorgesehen.
Dabei zeigt ein Blick in die Rechenschaftsberichte des Regierungsrates, dass die zur Zucht- oder Arbeitshausstrafe Verurteilten lange Zeit als minderwertige, verkommene Subjekte galten, deren Starrsinn zu brechen und die sittlich zu bessern seien. Der Rechenschaftsbericht für 1920 (S. 135-136) mag als Beispiel für den verhaltenen Zynismus dieser Sichtweise dienen:
"Am ersten Tag des Berichtsjahres, während dem Mittagessen, starb ein Insasse an einem Herzschlag. Der Mann fühlte sich tief unglücklich, und bereute seinen begangenen Fehler von Herzen; er hatte so wenig Hoffnung auf eine bessere Zukunft, dass der Tod für ihn und seine Angehörigen eine gute Lösung war."
Im Übrigen sei auf das Gutachten Alois Engelers (Verwalter 1864-1891) von 1886 über die Prügelstrafe verwiesen (in: 9'4, 0/0.1).
Der vorliegende Bestand dokumentiert den Anstaltsalltag fast ausnahmslos aus Sicht des Verwalters, der Aufsichtskommission und des Regierungsrates. Das einzige mir bekannte Dokument, in dem Gefangene selbst zur Sprache kommen, ist das Protokoll eines Verhörs der Zuchthauskommission mit drei Insassen und dem Verwalter vom 28. Februar 1837 (in: 4'687'0, 0).
Ein weiteres Mittel zur "sittlichen Hebung" der InsassInnen bildete neben einer erbaulichen Anstaltsbibliothek sowie Weihnachts- und Silvesterfeiern (ab 1901; vgl. RBRR 1914, S. 18-20) die Anstaltspastoration, für die 1886 der anstaltseigene Betsaal fertig gestellt wurde. Die Anstaltsreglemente zwangen die InsassInnen zur Teilnahme an den Gottesdiensten; dieser Kultuszwang wurde durch den Grossen |
| Rat am 18. März 1895 aufgehoben.
1915 wurden erstmals arbeitswillige Strafverurteilte durch die Militärjustiz in die Anstalt eingewiesen; ab 1940 diente ein Teil der Strafanstalt auch zur disziplinarischen Bestrafung von über 500 internierten Belgiern, Franzosen und Polen. Die Interniertenabteilung musste 1942 aus Platzmangel aufgehoben werden.
Eine Verbesserung der Verhältnisse und eine Humanisierung des Strafvollzugs in Tobel brachte Thomas Castelberg (Verwalter 1926-1964) zustande. So führte er 1935 erstmals die berufliche Weiterbildung des Anstaltspersonals ein. Er sorgte auch dafür, dass der Kanton Thurgau für den Gutsbetrieb die Bündner Alpen Conlad, Punt Ota und Rodun zur Sömmerung des Braunviehs pachtete, und dass Strafgefangene ab 1947 als Hausburschen, Stallchefs, Alphirten und Hilfsaufseher (!) arbeiten konnten.
Ab 1961 ist eine sprunghafte Zunahme der InsassInnen zu verzeichnen, wobei Gastarbeiter den Hauptanteil ausmachten. In Folge dessen befasste sich die Regierung ab 1962 mit der Gesamtrenovation der baufälligen Strafanstalt, ohne dass es in der Folge aber zu einem konzisen Gesamtkonzept gekommen wäre.
1967 wurde, nach der Schliessung der Frauenabteilung 1964, Kritik an den Zuständen in der Strafanstalt laut. Der Regierungsrat verwahrte sich dagegen, dass "fälschlicherweise bewusst oder unbewusst, inner- und ausserhalb der Anstalt, aus dem längst baufälligen Zustand unserer Gebäude die Art des Strafvollzugs und die Behandlung der Menschen, die sich darin aufhalten, abgeleitet [werde]: altertümlich und menschenunwürdig." Er verwies auf den gerade erfolgten Ersatz der eisernen Betten und der Blechnäpfe als Indiz für die laufende Modernisierung. - Schliesslich verfielen Regierung und Grosser Rat darauf, die Strafanstalt aus Kostengründen aufzuheben. Der Aufhebungsbeschluss des Grossen Rates fiel am 7. Mai 1973.
Aktenführung
Schon die Verordnung des Kleinen Rates betr. die Verwaltung der Zuchtanstalt Tobel (RRB 64 vom 11. Januar 1811) hielt fest, dass eine Hauptaufgabe des Zuchtverwalters in der Führung des Gewerbes und der Hauptrechnung über alle Einnahmen und Ausgaben bestand. Über die Buchhaltungsunterlagen, die einen Hauptbestandteil des Anstaltsarchivs bildet, wird weiter unten zu sprechen sein.
Weiter musste der Verwalter gemäss RRB 2021 vom 11. September 1812 ein "Protokoll über die Züchtlinge" führen, in dem sie mit ihrem Namen und Wohnort, Angaben zu ihrem Vergehen, zu Straffmass und -art, Eintrittstag und Signalement erfasst wurden (StATG 9'4, 4/21-4/38). Er hatte der Zuchthauskommission halbjährlich schriftlichen Bericht über die Aufführung und das Befinden der "Züchtlinge" zu erstatten, unter Beifügung eines Journals über vollzogene Disziplinarstrafen (StATG 9'4, 4/184-4/195).
Der Zuchtmeister musste halbjährliche Inventare erstellen und sämtliche Zu- und Abgänge nachtragen, während die Polizeiwache ein Verzeichnis über Arbeitsgeschirr und Werkzeuge der InsassInnen und über deren Ausleihen zu führen hatte. |
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Die vom Sanitätsrat erlassene Pflichtordnung für den Anstaltsarzt vom 10. Juni 1845 (StATG 4'697'0, 1) schrieb dem Arzt die Führung eines Diariums vor, "worin die verordneten Arzneien, der Tag- und Reihenfolge nach in vollständigen Rezepten eingetragen werden". Daneben sollte er ein "genaues und nosologisches und therapeutisch detailliertes Tagebuch über jeden einzelnen behandelten Kranken" schreiben. Beide Bücher sollten vierteljährlich dem Sanitätsrat zur Einsicht vorgelegt werden (StATG 9'4, 4/240-4/253). Das bis 1973 massgebliche Reglement vom 9. Oktober 1861 bzw. 4. Juli 1863 schrieb dem Arzt und den Anstaltsgeistlichen schliesslich vor, dem Verwalter zu Handen der Aufsichtskommission einen jährlichen Bericht über ihre Verrichtungen und den gesundheitlichen bzw. den sittlichen Zustand der Anstalt zu übergeben.
Die Bildung weiterer Aktenreihen, die in den Reglementen nicht ausdrücklich erwähnt werden, ergab sich wohl einfach aus der Verwaltungstätigkeit bzw. aus organisatorischen und geschäftlichen Notwendigkeiten.
Verwalter
1811-1837 Vogt Georg Joachim, Fliegenegg (Tobel), vormals Bezirksarzt 1837-1842 Hofer Ulrich, Harenwilen 1842-1847 Kesselring ?Johann Jakob, Märstetten 1847-1853 Oberhänsli Adam, Maltbach (Zezikon/Griesenberg), Kantonsrat 1853-1864 Hanselmann Konrad, Güttingen 1864-1891 Engeler Alois, Ettenhausen, vormals Lehrer 1891-1926 Keller August, Märwil 1926-1964 Castelberg Thomas, Castrisch GR 1964-1973 Feuz Fritz, Gsteigwiler BE
Rechts- und gesellschaftspolitische Bedeutung
Die Institution "Tobel" ist von erheblicher Bedeutung für die Entwicklung des modernen Rechtsbewusstseins im Kanton Thurgau. Dies lässt sich nicht allein an diversen Gesetzen, Verordnungen und Reglementen zur Führung der Strafanstalt ablesen, die eine langsame, aber beständige Humanisierung des Strafvollzugs dokumentieren. Auch das Archiv der ehemaligen Strafanstalt enthält zahllose schriftliche Zeugnisse dieser Entwicklung, ebenso kulturgeschichtlich interessante Unterlagen zu Verwaltung und Buchführung, Landwirtschaft und Gewerbebetrieben. Die noch existierenden Gebäude vervollständigen das Bild, das bei der Quellenlektüre entsteht - sie bilden sozusagen das Fleisch am Knochen.
Die "Zucht- und Arbeitsanstalt" stellte von der Gründung bis zur Aufhebung für den Kanton Thurgau ein Politikum dar. Neben ihrer Grundfunktion als Straffvollzugseinrichtung erfüllte sie auch die ordnungs- und gesellschaftspolitische Funktion der Disziplinierung randständiger oder verhaltensauffälliger Personen, die sich nicht in den vorherrschenden Raster bürgerlicher Moral und die Machtverhältnisse fügten. Der öffentliche und politische Diskurs über Sinn und Methoden der "sittlichen Besserung" durch Strafvollzug harrt im Kanton Thurgau noch seiner Erforschung. Einen vielversprechenden Anfang stellen dabei die Arbeiten von Simone Peter und Sabine Lippuner dar (vgl. Literaturverzeichnis).
Rechtliche Grundlagen
Als gesetzliches Fundament für |
| den Betrieb der Strafanstalt Tobel und ihrer Vorläufer kommen in Betracht: · Dekret des Kleinen Rates betr. Abänderungen in dem peinlichen Gesetzbuch, vom 16. Jan. 1804 (in: TBl 2, S. 109-114). · Dekret des Kleinen Rates betr. Vollziehung der Kriminalurteile, vom 31. Okt. 1804 (in: TBl 3, S. 55-60). · Dekret des Kleinen und Grossen Rates betr. Abverdienung der Geldbussen im Arbeitshaus, vom 23. Dez. 1812 (in: TBl 10, S. 107-109). · Provisorische Zucht- und Arbeitsanstalt im Schloss Frauenfeld: Reglement, vom 27. Mai 1809, (in: StATG 3'00'14, § 1249). · Verordnung des Regierungsrates betr. die organische Einrichtung des Verwaltungswesens der Zuchthausanstalt in Tobel, vom 11. Januar 1811 (in: StATG 3'00'18, § 64; Aufbau und Personal der Anstalt) · Polizei-Reglement für die Zucht- und Arbeitsanstalt, vom 11. Sept. 1812 (in: StATG 3'00'21, § 2021; Dienstpflichten des Personals und Verhaltensvorschriften für die Gefangenen). · Dekret des Grossen Rates: Provisorische Verfügungen betr. die Strafanstalt und Domäne zu Tobel, vom 8. März 1836 (in: Kbl 2, S. 251-253). · Reglement für die Zucht- und Arbeits-Anstalt in Tobel, vom 12. April 1837 (in: StATG 4'687'0, 0; vgl. RRB 633 vom 31. März 1837 und RRB 730 vom 12. April 1837). · Reglement für die Kantonale Strafanstalt in Tobel, vom 5. Apr. 1845 (in: StATG 4'687'0, 0; vgl. RRB 906 vom 5. Apr. 1845). · Pflichtordnung für den Arzt in der Strafanstalt zu Tobel, vom 28. Juni 1845 (in: StATG 4'687'0, 1; vgl. RRB 1627 vom 21. Juni 1845 und RRB 1713 vom 28. Juni 1845, sowie RRB 706 vom 22. März 1845). · Gesetz betr. die definitive Organisation der Strafanstalt zu Tobel, vom 26. Dez. 1844 (in: Kbl. 5, 1849, S. 70-76; geändert am 7. März 1846 durch Dekret [des Grossen Rates betr. Änderung und Ergänzung des Gesetzes betr. die Organisation der Strafanstalt zu Tobel, vom 26. Dez. 1844], in: Kbl 5, S. 113-114). · Reglement für die Kantonalstrafanstalt zu Tobel, vom 6. Mai 1853 (in: StATG 4'687'0, 2; vgl. RRB 1322 vom 6. Mai 1853). · Gesetz über die Strafanstalt zu Tobel (vom 13. März 1856). In: RB 1948, Nr. 173, Bd. 1, S. 885-886 (geändert durch: Änderung des Gesetzes über die Strafanstalt Tobel vom 30. Juni 1970, in: RB 1948, Nr. 173 AV, Nachtrag V, 1972, S. 342). · RRB 2250 vom 26. Nov. 1860: Ein neuer Reglemententwurf, auf den die "Bemerkungen der Verwaltung der Strafanstalt Tobel" vom 20. Nov. 1860 (in: StATG 4'687'3, 10) Bezug nehmen, wird aufgeschoben; der Entwurf befindet sich vermutlich in den Akten der Aufsichtskommission (StATG 4'687). - RRB 1087 vom 13. Juni 1861: Die Frage der Revision des Reglements wird reaktiviert und an das Justizdepartement überwiesen. - Reglement des Regierungsrates betr. die Strafanstalt zu Tobel vom 9. Okt. 1861 (vgl. RRB 1950 vom 9.Okt. 1861; Annahme durch den Grossen Rat am 2. Juni 1863; vgl. StATG 2'00'16, S. 117, § 234), vom Regierungsrat in Kraft gesetzt (vgl. RRB 1370 vom 4. Juli 1863), in: RB 1948, Nr. 174, Bd. 1, S. 887-895. |
| · Instruktion für die Verwaltung der Strafanstalt Tobel betr. die Buchführung vom 1. Jan. 1863 an (zunächst versuchsweise eingeführt; definitiver Beschluss mit RRB 777 vom 18. Apr. 1863). · Dekret des Grossen Rates betr. die Gefangenschaften und die in denselben zu handhabende Polizei, vom 26. Nov. 1867 (ersetzt durch: Verordnung des Grossen Rates über den Vollzug freiheitsentziehender Strafen und Massnahmen gem. eidg. und kant. Recht, vom 2. Feb. 1976, in: RB 340.3). · RRB 198 vom 6. Feb. 1867: § 31 des Reglements wird nicht geändert (die InsassInnen sind weiterhin im Winter um 5 h, im Sommer um 4 h zu wecken). · RRB 1484 vom 20. Juli 1867: Auftrag an die Aufsichtskommission, Pflichtenhefte für die Angestellten zu formulieren (Instruktion für den Meisterknecht in der Strafanstalt Tobel, vom Verwalter, 21. Juli 1867; Pflichtenheft für die Angestellten der Strafanstalt Tobel, genehmigt durch RRB 309 vom 15. Feb. 1868).· Reglement über die Straf- und Verwahrungsanstalt Tobel, vom ?3. Juli 1942 (StATG 4'687'11, 91; das Reglement trat vermutlich nicht in Kraft). · Vereinbarung der ostschweiz. Kantone über den Vollzug der Zuchthaus- und Gefängnisstrafen, der Massnahmen gem. Schweiz. Strafgesetzbuch und der Versorgung gem. kant. Recht, vom 27. Jan. 1956 (in: RB 1948, 169 ZII, Nachtrag II, 1958, S. 140-145; ersetzt durch: Vereinbarung der Kantone ZH, GL, SH, AR, AI, SG, GR und TG über den Vollzug freiheitsentziehender Strafen und Massnahmen gem. Schweiz. Strafgesetzbuch und Versorgungen gem. eidg. und kant. Recht, vom 31. März 1976). · Provisorische Hausordnung, von 1965 (in: StATG 4'687'11, 92; ob die Ordnung in Kraft gesetzt wurde, ist unklar). · Aufhebung der Aufsichtskommission: StATG 3'00'133, RRB 1139 vom 5. Juni 1869; die Oberaufsicht wurde betr. die Anstaltsführung dem Justiz-, betr. Finanzielles dem Finanzdepartement übertragen (vgl. RBRR 1869, S. 167). · Zur Aufhebung von Tobel: Auslöser war die Grossrats-Motion Max Graf vom 31. März 1972 betr. die Gebäulichkeiten (StATG 2'01'53, Nr. 392a, S. 2-3; vgl. auch die Behandlung der Motion im Grossen Rat am 25. April und 23. Juni 1972).
Bauliches
Die Nutzung der ehemaligen Komturei als Strafanstalt mit integrierter Produktion diverser landwirtschaftlicher und handwerklicher Erzeugnisse (Gutsbetrieb, Weberei, Schusterei, Sägerei usw.) sowie die kontinuierliche Zunahme der InsassInnen zog zahlreiche bauliche Veränderungen nach sich. Nach der Aufhebung der Strafanstalt 1973 erlitt deren Bausubstanz 1979 durch den Abbruch aller "denkmalpflegerisch wertlosen" Gebäude einen massiven Verlust. Als einzige bauliche Zeugen von 162 Jahren thurgauischer Strafrechtspraxis blieben das Verwaltungsgebäude mit Betsaal (Bauzeit: 1884-1886) sowie der Südflügel mit Arbeitssaal und Zellen erhalten. Insbesondere die Originaleinrichtung von Betsaal, Arbeitssaal, Zellen und die riesige Tuchmangel vermitteln eine nachhaltige Vorstellung vom damaligen Alltag in der Strafanstalt.
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| Die historische Einrichtung der Gebäude, insbesondere der Betsaal mit seinen hölzernen Trennwänden und den getrennten Eingängen für männliche und weibliche "Detinierte" dürfte in der Schweiz ein Unikum sein. Sie verdient wegen ihrer nicht zu unterschätzenden Bedeutung für die kantonale und nationale Geschichte, erhalten zu werden. |
Bestandsgeschichte: | Auszug aus: Staatsarchiv des Kantons Thurgau, Jahresbericht 1999, Frauenfeld 2000, S. 17-18:
"Auf Seite 52 des Zugangsverzeichnisses des Staatsarchivs 1937 ff. findet sich unter "September 1975" der lapidare Eintrag: "Strafanstalt Tobel (aufgehoben). Ganzes Archiv". Basses Erstaunen daher, als die Frage "Habt ihr am Archiv der Strafanstalt Tobel eigentlich kein Interesse?" das zarte Mittelohr der amtierenden Archivare erreichte und sie etwas aus dem Gleichgewicht brachte. Worauf die Abklärungen ergaben, dass im genannten Herbst tatsächlich nicht das "Archiv", sondern lediglich eine kleine und nicht näher definierte Auswahl aus dem Anstaltsarchiv den Weg nach Frauenfeld gefunden hatte, derweil der grosse Rest am Ursprungsort seinen Dornröschenschlaf begann. Nachdem die Platzverhältnisse im Staatsarchiv markant verbessert worden waren, konnte das "Rest-Archiv" (45 Laufmeter) am 2. Juni des Berichtsjahres mit tatkräftiger Unterstützung von vier Forstwart-Lehrlingen nach Frauenfeld transferiert werden. Der "Fall" ist in dreifacher Hinsicht interessant: Erstens zeigt er mit kaum zu überbietender Deutlichkeit, wie wichtig es ist, dass Archivarinnen und Archivare ihr Tun und Lassen ausreichend dokumentieren und sich nicht mit derart dürren Bemerkungen wie der zitierten zufrieden geben, die den Nachfolgerinnen und Nachfolgern die Beweggründe für frühere Entscheide nicht transparent machen. Zweitens ist er ein Paradebeispiel dafür, wie zeitbedingt Bewertungsentscheide sein können. Soweit bis jetzt zu sehen ist, fiel den Bewertungsentscheiden von 1975 vor allem wirtschaftsgeschichtlich interessantes Material zum Opfer. Die gegenwärtigen Archivare werden zwar voraussichtlich auch nicht alle 45 Laufmeter aufbewahren, von den langen Reihen der Inventare, Kassabücher und Belege aber zumindest eine statistische Auswahl der Nachwelt erhalten. Drittens zeigt der Fall, dass das Staatsarchiv auch in Sachen Datenschutz eine wichtige Funktion wahrnimmt, indem am 2. Juni nämlich auch Akten sichergestellt wurden, die, wären sie in falsche Hände geraten, leicht zu einem Politikum hätten werden können: Offensichtlich wurde 1975 nämlich nicht alles personenbezogene Material sichergestellt oder vernichtet. Dass Datenschutz mit dem Staatsarchiv besser zu bewerkstelligen ist als gegen bzw. ohne das Staatsarchiv, sollten sich aufgrund dieses Beispiels vor allem jene hinter die Ohren schreiben, die sich in völliger Unkenntnis dessen, was das Staatsarchiv seit Jahrhunderten alles hütet, immer wieder berufen fühlen, ihm ablieferungspflichtige Unterlagen mit dem Argument des Datenschutzes vorenthalten zu sollen."
Der Bestand wurde, bei längeren Unterbrüchen, von 2000 bis 2002 von Manfred Spalinger bearbeitet. Die Bearbeitungszeit betrug rund 400 Stunden. Den Ordnungsarbeiten und Kassationen lag ein umfangreiches Erschliessungs- und Kassationskonzept zugrunde (vgl. Unterlagen über 9'4).
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Direktübernahme von Provenienzstelle: | Ja. |
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Inhalt und innere Ordnung |
Bewertung und Kassation: | Zu Buchhaltung und Kassationskonzept
Das Archiv der ehemaligen Strafanstalt Tobel umfasste vor seiner Erschliessung 65 Laufmeter Akten, wovon ca. 42 Laufmeter auf Buchhaltungs- und Finanzunterlagen entfielen.
Die Buchhaltung dominierte meines Erachtens den Bestand nicht zufällig, sondern spiegelte zwei wesentliche Aspekte der Strafanstalt: Wirtschaftlichkeit und Macht. Die Überbewertung von Rentabilität und Kontrolle führte dazu, dass die Buchhaltung als wirtschaftliches Kontrollinstrument überbordete und in keinem Verhältnis zum Anstaltszweck (Strafvollzug) mehr stand. (Bei der Durchsicht der Rechenschaftsberichte beginnt man sich bald einmal zu fragen, ob Zeiten sinkender Kriminalität eher "gute" Zeiten waren, weil weniger Verbrechen geschahen, oder eher "schlechte" Zeiten, weil die Gewerbebetriebe in Tobel nicht ausgelastet waren...)
Auch die penible Jagd eines pedantischen Revisors nach noch so kleinen Fehlbeträgen und Fehlbuchungen hinterlässt beim Lesen seiner Korrespondenz mit dem Verwalter der Strafanstalt einen unüberbietbar absurden Eindruck. Geradezu kafkaesk ist das Machtgehabe, das in seinen Missiven über weite Strecken zum Ausdruck kommt...
Für das Verständnis der Strafanstalt Tobel sind die Buchhaltungsunterlagen nicht von zentraler Bedeutung - wenn sie auch früher wichtig waren, um den Betrieb als "Straf- und Besserungsanstalt" zu gewährleisten. Sie sind aber insofern von Interesse, als sich in ihnen die Organisation der Strafanstalt, der Alltag von Personal und Sträflingen sowie der allmähliche Wandel des Strafvollzugs niedergeschlagen haben. Da die Flut der Buchhaltungsunterlagen den Blick auf das Wesentliche verstellte, drängte sich im Hinblick auf die Erschliessungs- und Konservierungskosten die Kassation eines grossen Teils der Finanzunterlagen auf. Trotzdem sollte aber die Dominanz des wirtschaftlichen Gesichtspunkts in Tobel in der Ordnung des Bestands sichtbar bleiben; ebenso wie das verwaltungsgeschichtlich spannende Verhältnis zwischen Verwaltung und Revisorat.
Kassiert wurde nach einem zuvor erarbeiteten und in einer Fachgruppe diskutierten Konzept. Im Wesentlichen sah es vor, gewisse, als wichtig erachtete Buchreihen integral entlang der Zeitachse zu erhalten. Das gilt für die Betriebsrechnungen (die ins Finanzdepartement umplatziert wurden), für die Inventare, die Hauptbücher und die Sträflingskonti. Aus den übrigen Buchhaltungsunterlagen wurde ein Sample gebildet, so dass möglichst alle zehn Jahre eine vollständige Buchhaltung erhalten wurde.
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Ordnung und Klassifikation: | Vgl. Erschliessungs- und Kassationskonzept (Unterlagen über Bestand 9'4). |
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Zugangs- und Benutzungsbedingungen: |
Rechtsstatus: | Eigentum des Staatsarchivs des Kantons Thurgau. |
Zitiervorschlag: | Fussnote: StATG 9'4, */*
Quellenverzeichnis: StATG 9'4 Strafanstalt Tobel 1811-1973
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Sprachen: | d |
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Sachverwandte Unterlagen: |
Verwandte Verzeichnungseinheiten: | 4'213, Baudepartement: Arbeitshaus und Strafanstalt Tobel 4'340, Finanzverwaltung: Betriebsrechnungen Strafanstalt 4'341, Staatsanstalten: Betriebsrechnungen Domäne Tobel 4'371, Domäne Tobel 4'67, Strafuntersuchungs-, Anklage- und Begnadigungsbehörden 4'68, Justiz und Fürsorge: Strafvollzug 4'69, Schutzaufsicht, Bewährungshilfe 4'590, Polizeidepartement: Bezirksgefängnisse 5'0, Bezirksämter 6, Kantonale Gerichte Aa 4'43'1, Evang. Landeskirche: Anstaltspastoration Strafanstalt Tobel Ba 4'43'0, Kath. Landeskirche: Anstaltspastoration Strafanstalt Tobel Karten und Pläne 2282, 2316-2380 und 2910 |
Veröffentlichungen: | Literatur: - [Anonym]: Das letzte Todesurteil im Thurgau. In: TJb 1973, S. 21-27. - Ausderau, W., u. a.: Hundert Jahre Thurgauischer Schutzaufsichtsverein, 1857-1957, Frauenfeld: Huber, 1957. - [Benker. Leodegar; Hanselmann, Konrad]: Berichte über den Zustand der Straf- und Zwangsarbeitsanstalten des Kantons Thurgau, erstattet an die Direktion der Schweiz. Gemeinnützigen Gesellschaft im Sommer 1863. In: Verhandlungen der Gemeinnützigen Gesellschaft des Kantons Thurgau, Frauenfeld: Huber, 1864, S. 35-64. - Burckhardt, Karl: Bericht an die Schweiz. Gemeinnützige Gesellschaft über die Strafanstalten in der Schweiz, Zürich: Orell Füssli, 1827. - H., M.: Aus den Anfängen der thurg. Strafanstalt. In: TZ, 11./12. April 1930. - Häberlin, Fritz: Der bedingte Straferlass im Kanton Thurgau. In: Schweiz. Zeitschrift für Strafrecht, Bern: 1933, S. 200-220. - Häberlin, Fritz: Zehn Jahre Verwahrung im Kanton Thurgau. In: Schweiz. Zeitschrift für Strafrecht, Bern: 1938, S. 194-208. - Häberlin, Fritz: Die thurg. Rechtsprechung im Gebiete des schweiz. Strafgesetzbuches. In: Schweiz. Zeitschrift für Strafrecht, Bern: 1942, S. 239-245. - Hagenbüchle, Anton: Bibliographie über Recht und Rechtsgeschichte des Kantons Thurgau und seiner Gewässer, Frauenfeld: Obergericht des Kantons Thurgau, 1976. - Hagenbüchle, Ferdinand: Beiträge zur Revision des thurg. Strafrechtes. In: Schweiz. Zeitschrift für Strafrecht, Bern: 1920, S. 223-233. - Lippuner, Sabine: "Man musste strenge arbeiten, erhielt geringe Kost..." Ein Versuch über die Anfänge der Arbeitserziehungsanstalt Kalchrain aus Anlass ihres 150-jährigen Bestehens. Hüttwilen: AEA Kalchrain, 2001. - Lippuner, Sabine: "Streng sei die Hausordnung, aber human der Geist, der sie leite". Die Entstehungs- und Vollzugsbedingungen der thurg. Zwangsarbeitsanstalt Kalchrain im 19. Jahrhundert, unveröffentlichte Lizentiatsarbeit, Universität Zürich, 1998. - [Mörikofer, Johann Kaspar]: Tobel, dargestellt nach seinem gegenwärtigen Zustand und seinen bisherigen Schicksalen. 9. Thurgauisches Neujahrblatt der Thurg. Gemerinnützigen Gesellschaft, Frauenfeld: Fehr, 1832, S. 14-20. - Peter, Simone: "Religion und Eigenthum vereint werden ihn bändigen." Strafvollzug und Reformdiskurs im Kanton Thurgau zwischen 1803 und 1840. Dargestellt an der Geschichte der Anstalt Tobel, unveröffentlichte Lizentiatsarbeit, Universität Zürich, 1998 (zit. als Peter). - Riemensberger, E.: Bemerkungen über definitive Begnadigung, bedingte Entlassung und die Schutzaufsicht, Frauenfeld: 1883. - Streiff, J[ohann] J[akob]: Auch ein Wort über Abschaffung der Todesstrafe. In: Verhandlungen der Gemeinnützigen Gesellschaft des Kantons Thurgau, Frauenfeld: Huber, 1867, S. 1-28. - Widmer, [Johann] K[onrad]: Thurgauische Straffälle, Zürich/Frauenfeld: Beyel, 1846. - Wuhrmann, Willy: Verzeichnis der evang. Pfarrer des Kantons Thurgau von 1863 bis 1936. In: TB 73 (1936), S: 1-64. - Zurbuchen, Theophil: Die Anfänge der organisierten Psychiatrischen Versorgung im Kanton Thurgau (1798-1840). Von der Versorgung im Zucht- und Arbeitshaus zur Gründung der Irrenanstalt Münsterlingen, Magisterarbeit, Universität Konstanz, 1984. - Zürcher, Emil: Der bedingte Straferlass, seine Wirkungen im Kanton Zürich und die geplante Einführung im Kanton Thurgau. In: Schweiz. Zeitschrift für Strafrecht, Bern: 1926, S. 1-15. |
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End of term of protection: | 12/31/1993 |
Permission required: | Keine |
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Accessibility: | Oeffentlich |
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URL: | https://query-staatsarchiv.tg.ch/detail.aspx?ID=26173 |
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