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9'7 Verhörrichteramt 1809-1992, 1809-1992 (Abteilung)
Identifikation |
Ref. code: | 9'7 |
Title: | Verhörrichteramt 1809-1992 |
Creation date(s): | 1809 - 1992 |
Entstehungszeitraum, Streudaten: | from 1786 |
Level: | Abteilung |
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Kontext |
Name der Provenienzstelle: | Verhörrichteramt |
Verwaltungsgeschichte/Biografische Angaben: | Die Untersuchung aller peinlichen Vergehen oblag gemäss der „Organisation der Criminal Rechtspflege“ vom 17. Juni 1803 der „Criminal-Commission“, einer ständigen Kommission, die aus drei Mitgliedern des Appellationsgerichts bestehen sollte und die ihre Fälle vom Kleinen Rat zugewiesen erhielt. Nach Abschluss der Untersuchungen hatte die Kommission ihre Akten der zuständigen Criminal-Behörde zu übergeben, welche die Anklagen organisierte. Die Kommission sollte den Verhören möglichst vollzählig, mindestens aber zu zweit beiwohnen, wobei die eigentliche Vernehmung nur von einem Mitglied durchgeführt werden sollte (Organisation der Criminal Rechtspflege vom 17. Juni 1803 [Tbl. 1, 190-193], Art. 1-11).
1805 wurde die Kommission von drei auf zwei Mitglieder reduziert (Beschluss über die Abänderung in der Organisation der Criminal-Commission vom 10. Mai 1805 [Tbl. 4, 167-168]) und 1818 als Verhör-Commission mit zwei vom Kleinen Rat gewählten Mitgliedern neu institutionalisiert (StATG 3’00’31, RRB 1818/359 vom 13. Februar 1818). Ab 1832 oblag die Wahl der Verhörrichter dem Grossen Rat, basierend auf einem Doppelvorschlag des Obergerichts, aus den interessierten rechtskundigen Aktivbürgern über 25 Jahre (Gesetz über die Organisation der Gerichtsbehörden vom 11. April 1832, Art. 97 [Kbl. 1, 148]).
1850 stand das Verhörrichteramt, nunmehr bestehend aus zwei Mitgliedern und einem Sekretär, unter der Aufsicht einer vom Grossen Rat ernannten Criminal-Commission (nicht zu verwechseln mit der 1803 genannten Behörde gleichen Namens), die nun aus einem Mitglied des Regierungsrats und zwei Mitgliedern des Obergerichts bestand (Gesetz über die Organisation der Criminalrechtspflege vom 22. März 1850 [Kbl. 6, 109], Art. 2-10). 1852 arbeitete das Verhörrichteramt unter der Aufsicht und Leitung der Anklagekammer. Seine Aufgabe bestand darin, bezüglich Tatbestand und Täterschaft so weit zu ermitteln, dass gegen Verdächtige Anklage erhoben werden konnte und die Beweismittel so zu sichern, dass die Hauptuntersuchung vor dem Geschworenengericht ununterbrochen durchgeführt werden konnte. Der Verhörrichter hatte die Befugnis, Verdächtige und Zeugen vorladen zu lassen, vor Ort oder nach Vorführung zu ermitteln, Durchsuchungen vorzunehmen, Beweismittel sicherzustellen und überhaupt alle Massregeln anzuordnen, „welche er zur Entdeckung der Wahrheit für nützlich“ hielt und dabei „bestmöglich Verzögerung und Kosten“ vermeiden sollte (Gesetz über das Geschworenengericht für den Kanton Thurgau vom 24. März 1852 [Kbl. 6, 476-526], Art. 17-23; 73-76). Zu den weiteren Aufgaben der Verhörrichter gehörte auch die Aufsicht über die Untersuchungshaft.
In welcher Form die Verhörrichter ihre Vernehmungen durchführten, ist nicht erforscht, doch gibt es Hinweise auf recht rüde Verhörmethoden in den späten 1830er-Jahren (Protokolle des Regierungsrates 1836, 1838). Im Reglement über die Geschäftsführung des Verhörrichteramts wurde jedenfalls 1867 dem Verhörrichter ausdrücklich „bei schwerer Verantwortlichkeit“ untersagt, durch körperliche Leiden des Untersuchungshäftlings Geständnisse zu erpressen. Untersuchungshäftlinge, die sich grob oder ungebührlich aufführten, durften jedoch mit bis zu vier Tagen verschärfter Haft und Schmälerung der Kost bestraft werden, was in den Akten festzuhalten war (Reglement über die Geschäftsführung des Verhörrichteramts [Strafprozessordnung] vom 26. November 1867 [TGS 5, 228-230]). |
| Für die Protokollierung der Verhöre konnte die Criminal-Commission anfänglich auf die Kanzlei des Appellationsgerichts zurückgreifen (Organisation der Criminal Rechtspflege vom 17. Juni 1803 [Tbl. 1, 190-193], Art. 1-11). Spätestens seit 1837 standen den Verhörrichtern fest angestellte Aktuare zur Seite, die teilweise über Jahrzehnte hinweg die personelle Kontinuität der Behörde sicherstellten. Sie führten auch das seit 1852 vorgeschriebene Tagebuch über die amtlichen Verrichtungen des Verhörrichteramts (Reglement über die Geschäftsführung des Verhörrichteramts (Gesetz über das Geschworenengericht vom 24. März 1852 [Kbl. 5, 233-234]).
Das Verhörrichteramt (oder Verhöramt, wie es zu Beginn des 20. Jh. oft genannt wurde) bestand in der Praxis nur aus dem vom Grossen Rat gewählten, fest angestellten ordentlichen oder leitenden Verhörrichter, der gelegentlich sogar persönlich als Verhörrichteramt bezeichnet wurde, und einem fest angestellten Aktuar. Je nach Arbeitsanfall wurden zusätzlich der Stellvertreter des Verhörrichters und in zunehmenden Mass auch ausserordentliche Verhörrichter beigezogen, was während des 20. Jahrhunderts praktisch die Regel bildete. Insbesondere neue oder neu aufkommende Straftaten wie Wirtschaftsdelikte erforderten immer häufiger ausserordentliche Verhörrichter mit speziellen Kenntnissen. 1983 bewilligte der Grosse Rat schliesslich die Schaffung einer zweiten und 1995 einer dritten ordentlichen Verhörrichterstelle (StATG 2’01’76, 110/49, Beschluss des Grossen Rates vom 22. Februar 1983; StATG 3'00'812, RRB 1995/135 vom 07.02.1995).
Mit der Justizreform 2000 wurde das Verhörrichteramt per 1. Januar 2000 umbenannt in Kantonales Untersuchungsrichteramt, abgekürzt KUR. Anstelle des Grossen Rates wählt neu der Regierungsrat die Untersuchungsrichter. Mit der Ernennung eines leitenden Untersuchungsrichters erhielt das Amt erstmals auch eine formelle Amtsleitung. Das KUR führt grundsätzlich die Untersuchungen bei Straftaten mit einer gesetzlich angedrohten Strafe von über fünf Jahren Zuchthaus, bei sexuellen Handlungen mit Kindern und Abhängigen, bei Konkurs- und Betreibungsdelikten, bei Verfahren krimineller Organisationen, Geldwäscherei, mangelnder Sorgfalt bei Finanzgeschäften sowie bei Delikten gegen das Immaterialgüterrecht, etwa das Patent-, und Urheberrecht etc. (Gesetz über die Strafrechtspflege [Strafprozessordnung] vom 30. Juni 1970 / 5. November 1991, Fassung gemäss G vom 9. Juni 1999, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2000, Art. 3). |
| Erste oder leitende Verhörrichter:
Amman Mathias von Ermatingen, Oberrichter 1817-1835 Kesselring Heinrich, von Boltshausen, Oberrichter (1829) 1835-1837 Kern Johann Konrad, von Berlingen 1837-? Ammann Wilhelm, von Frauenfeld 1840-1845 Sulzberger Johann Ludwig, von Frauenfeld 1845-1851 Krapf Johannes, von Buhwil 1852- Hanhart Karl von Frauenfeld, Chef des Landjägercorps 1858-
1880 Sandmeyer Johann Traugott, Dr., Advokat, von Fahrwangen 1881, 1890, 1910-
1918 Eder Leonz, von Bischofszell 1888-1905 Schmid E., Frauenfeld, Fürsprech 1902-1908 Steger Rudolf, Frauenfeld 1908-1917 Schuler Hubert, Dr., Frauenfeld 1917-
1919 Koch Adolf, Dr., Frauenfeld, Fürsprech 1919-1923 Müller J., Dr., von Krillberg, Fürsprech, Grundbuchinspektor 1923-1930 Haffter Max, Dr., von Weinfelden, Sekretär des Justizdepartements 1930-1935 Renner Hermann, Dr., von Oberbussnang, Sekretär des Finanzdepartements 1935-1970 Geisser Thomas, Dr. iur., von Altstätten 1970-1992 Reinhard François, lic. iur., 1983-1987? Jung Daniel, lic. iur. 1987-2000 Stettler Hansjörg, lic. iur. 1992- |
Bestandsgeschichte: | Ablieferungen Am 10. Dezember 1937 forderte das Staatsarchiv das Verhörrichteramt auf, "in nächster Zeit die älteren Archivalien des Verhörrichteramtes" abzugeben. Mit Schreiben vom 5. Januar 1938 erklärte sich Verhörrichter Hermann Renner damit einverstanden, die Jahrgänge 1875 bis und mit 1919 abzuliefern, weil diese im neuen Staatsarchiv zweifellos besser verwahrt werden könnten als auf dem Dachstock des kantonalen Untersuchungsgefängnisses. Am 3/4. März 1938 (Zugangs- und Abgangsverzeichnis des thurgauischen Staatsarchives 1937-1983) wurden die Unterlagen abgeliefert, am 28. März 1938 deren Eingang schriftlich bestätigt (Akten Zugänge und Abgänge, 1938), nämlich:
Verhörrichterakten 1875-1919 1 Bd. Aktenregister 1786-1852 1 Bd. Aktenregister 1852-1890 1 Bd. Aktenverzeichnis 1803-1856 1 Bd. Untersuchungskontrolle 1852-1867 1 Bd. Untersuchungskontrolle 1868-1882 1 Bd. Untersuchungskontrolle 1883-1893 1 Bd. Verhör- und Missivkontrolle 1874-1876 1 Bd. Haftkontrolle der Untersuchungsgefangenen 1902-1930 3 Bde. Kostennotenbuch 1874-1901 5 Bde. Kostennotenbuch 1909-1927 1 Bd. Kostenkonto 1881-1887 2 Bde. Kassabuch 1917-1923 2 Bde. Effektenquittungsbuch 1887-1898 1 Bd. Diarium 1877-1879 1 Bd. Aktenversendungskontrolle 1907-1919 6 Bde. Expeditionskontrolle 1879-1903 11 Bde. Diarium 1895-1930
Die Verhörrichterakten aus der Zeit vor 1875 waren 1937/38 wohl bereits im Staatsarchiv. Im Archivplan von 1893 ist eine entsprechende Rubrik (XIV 372-376) vorhanden, ohne dass daraus aber hervorginge, was damals faktisch vorhanden war bzw. was nicht. Eigentliche Falldossiers werden es kaum gewesen sein. Denn im Rechenschaftsbericht des Regierungsrates pro 1917, S. 85, heisst es: "Das Verhörrichteramt wurde, um dem herrschenden Platzmangel abzuhelfen, ermächtigt, alte Akten, sowie Kontrollen bis und mit dem Jahre 1870, immerhin mit Ausnahme der Akten solcher Untersuchungen, denen historische Bedeutung beizumessen ist, zum Einstampfen zu verkaufen." Papiermangel im 1. Weltkrieg! Aufgrund damaliger Anschauungen wurden nur gerade ein paar wenige Fälle als dauernd aufbewahrungswürdig eingestuft; der ganze Rest wurde mit Plazet von Staatsarchivar und Kantonsbibliothekar Friedrich Schaltegger der Papierfabrik übergeben (vgl. RRB 2655 vom 7. September 1917; StATG 3'00'230).
Im Zugangs- und Abgangsverzeichnis des thurgauischen Staatsarchivs 1937-1983, das offensichtlich unzureichend nachgeführt wurde, sind als weitere Ablieferungen verzeichnet:
1946.07.30: 1921 Nr. 1-148 (117 Bände) 1946.07.30: 1922 Nr. 1-142 (106 Bände) 1953.07.24: 1930 Nr. 1-79 1957.09.19: 1933 Nr. 1-94 1958.??.??: 1934 Nr. ?-?? (93 Bände)
1987.04.29: 1977 1987.05.21: 1978-1979 1989.12.19: 1981-1983
1997.05.29: 1986 1998.01.26: 1987 1998.09.16: 1988
1997.09.26: Kontrollen 1786-1979 2002.11.15: Kontrollen 1980-1988
Kassationen Kassationen sind bis jetzt keine nachweisbar, obwohl es sie offensichtlich gegeben hat. |
| Nach mündlicher Auskunft von alt Staatsarchivarin Verena Jacobi (*1924) vom 2. März 2004 hat Staatsarchivar Bruno Meyer - wohl in den 1970er-Jahren - die Fallakten aus dem 19. Jahrundert triagiert und dabei vor allem alle "kleineren Fälle" ausgeschieden, ausser:
- unaufgeklärte Fälle; - Kapitalverbrechen; - Fälle, die Aufsehen errregt haben.
Erschliessung Die Verhörrichterakten 1898-1992 wurden zwischen dem 3. März und 27. Juni 2003 von Sabine Berger mittels Word erschlossen. Anfang 2004 geschah mit den Dossiers der Jahre 1809-1897 ein Gleiches durch Manfred Spalinger. Weitere Kassationen wurden dabei keine vorgenommen. Dies vor allem deshalb, weil etwaige Parallelbestände aus dem Polizei- und Justizbereich (Kantonspolizei, Bezirksstatthalterämter etc.), die eine Kassation hätten mit rechtfertigen können, leider nicht existieren. Ende März 2004 wurden die Daten durch Hedi Bruggisser in scopeArchiv importiert. Die ISDAD (G-Schablone) wurde Ende März 2004 von André Salathé zusammengestellt; die Verwaltungsgeschichte stammt von Jürg Schmutz.
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Direktübernahme von Provenienzstelle: | Ja. |
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Zugangs- und Benutzungsbedingungen: |
Rechtsstatus: | Eigentum des Staatsarchivs des Kantons Thurgau. |
Zitiervorschlag: | Fussnote: StATG 9'7, */*
Quellenverzeichnis: StATG 9'7 Verhörrichteramt 1809-1992
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Reproduktionsbestimmungen, Copyright: | Staatsarchiv des Kantons Thurgau |
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End of term of protection: | 12/31/2012 |
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Accessibility: | Oeffentlich |
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