0'7 Gerichtsherrenstand, 1504-1804 (Abteilung)

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Identifikation

Ref. code:0'7
Title:Gerichtsherrenstand
Creation date(s):1504 - 1804
Level:Abteilung

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Datenvolumen (MB):66662
Anzahl Dateien:1302

Kontext

Provenienz:Familie von Streng
Verwaltungsgeschichte/Biografische Angaben:Der Gerichtsherrenstand war eine geordnete Vereinigung von weltlichen und geistlichen Inhabern niederer Gerichtsherrschaften (Vogteien) in der Landgrafschaft Thurgau und bildete spätestens seit dem 16. Jahrhundert eine Körperschaft, die sich im alljährlichen Gerichtsherrentag als eine Art Landstandschaft institutionalisierte und bis zum Ende des Ancien Régime 1798 die herrschaftlichen Interessen und Rechte einerseits gegenüber dem eidgenössischen Landvogt im Thurgau und anderseits gegenüber der Landschaft (Gemeinden, Quartiere) zu wahren suchte.

Entstehung und Ausbildung

Die Eidgenossen (Zürich, Luzern, Uri, Schwyz, Unterwalden, Zug und Glarus eroberten 1460 die Landgrafschaft Thurgau, erwarben 1499 zusammen mit Bern, Freiburg und Solothurn das thurgauische Landgericht und beanspruchten damit die Konzentration aller Herrschaftsrechte in ihrer Gemeinen Herrschaft im Thurgau. Dies war ein wichtiges Moment für die Konstituierung des Gerichtsherrenstandes, da die weltlichen und geistlichen Gerichtsherren ihre bisherigen Rechte, alten Freiheiten und Privilegien verteidigten und sich in corpore zur Wehr setzten. Folglich grenzten die Gerichtsherren als Inhaber der niederen Gerichtsbarkeit und die Eidgenossen als Landesherren im Gerichtsherrenvertrag ihre rechtlichen Befugnisse voneinander ab. Während der Abt von St. Gallen in den Verträgen von 1501/1512 und der Bischof von Konstanz mit dem Vertrag von 1509 sich gewisse hoheitliche Sonderrechte gegenüber den Eidgenossen vorbehielten, mussten die übrigen Vogteiinhaber die Unterstellung ihrer Herrschaft unter die eidgenössische Blutgerichts-, Militär- und Landeshoheit im Gerichtsherrenvertrag vom 20. Juli 1509 anerkennen. Diese Herrschaftsverträge bildeten die Grundlage für die gerichtsherrlichen Rechte. Eine durchgreifende Änderung hat diese Ordnung bis 1798 nicht mehr erfahren.

Der Gerichsherrentag

Spätestens ab 1581 waren die sog. Gerichtsherrentage, die bis 1542 in Frauenfeld und 1544-1798 in Weinfelden im Gasthaus zum Trauben stattfanden, zur alljährlichen Institution geworden. Im 16./17. Jahrhundert wurden mit Ausschüssen, einer gemeinsamen Kasse, einem siebenköpfigen Vorstand, einzelnen Funktionären (Landeshauptmann, Landesleutnant, Landesfähnrich und Gerichtsherrensekretär) und Deputationen das korporative Wesen des Gerichtsherrenstands verfassungsmässig gefestigt. Der Gerichtsherrentag hatte vor allem den Zweck, die Privilegien und Freiheiten des Standes gegenüber dem eidgenössischen Landvogt und den thurgauischen Untertanen zu bewahren. Daneben gehörte der Strassenbau und die Organisation der Grenzbewachung (ab 1620 in Zusammenarbeit mit den thurgauischen Militär-Quartieren) zu den Aufgaben des Gerichtsherrenstandes. In zahlreichen Eingaben (Memoriale, Beschwerden usw.) an Landvogt und eidgenössische Tagsatzung suchte der Gerichtsherrenstand Einfluss zu gewinnen. Hatte er bei der Tagsatzung keinen Erfolg, sandte der Gerichtsherrenstand Deputationen zu den regierenden Ständen zum Erwerb von Ortstimmen, um damit den Tagsatzungsentscheid rückgängig zu machen. So gelang es dem Gerichtsherrenstand 1626, die beschlossene Einführung eines thurgauischen Landrates zu hintertreiben. Mit der Quartierorganisation führte er jahrzehntelange Auseinandersetzungen über die Höhe der Steuern, die der Gerichtsherrenstand an die Grenzbewachung zu leisten hatte. Ein erster Vergleich 1643 brachte immer wieder Schriftwechsel und Rechtshändel. Erst das Mandat vom 4. Dezember 1691 von Landvogt Johann Ulrich Püntener von Braunberg mit einem neuen Vergleich brachte einige Beruhigung. Nach diesem hatte der Gerichtsherrenstand die Quartiere mit einem Viertel der Auslagen für die militärische Grenzbewachung zu entlasten.
Der Untergang des Gerichtsherrenstandes
Der Gerichtsherrenstand erscheint vom 16. Jahrhundert bis 1798 nicht als einheitliche und von gleichen Interessen getragene Korporation, da zwischen den weltlichen und geistlichen Gerichtsherren sowie zwischen den Konfessionen Spannungen auftraten. Auch die Steuern (Anlagen) boten Anlass zu ständigen Streitigkeiten. Seit etwa 1620 gab es in der Landgrafschaft Thurgau mit dem Gerichtsherrenstand, der Quartierorganisation und dem eidgenössischen Landvogt drei massgebliche Körperschaften, die bald miteinander, bald gegeneinander in unterschiedlichen Gruppierungen arbeiteten. Auch die personellen Überschneidungen zeigen die abhängige und eigentümliche Position des Gerichtsherrenstandes auf. So war der Obervogt von Weinfelden als Angehöriger des Standes Zürich ein Vertreter der Landeshoheit; er gehörte aber ebenso dem Gerichtsherrenstand an und besass als Quartierhauptmann des Quartiers Weinfelden eine leitende Position in der thurgauischen Quartierorganisation.

Die Rangordnung am Gerichtsherrentag (Ende des 18. Jahrhunderts)

Geistliche Bank:
1. Kloster Reichenau; 2. Fürstabtei St. Gallen; 3. Bistum Konstanz (Domkapitel und Dompropstei); 4. Kloster Einsiedeln; 5. Kloster Kreuzlingen; 6. Kloster Fischingen; 7. Kloster Muri; 8. Kloster St. Urban; 9. Kloster Rheinau; 10. Kloster Münsterlingen; 11. Johanniger-Kommende Tobel; 12. Kloster Tänikon; 13. Kloster Feldbach; 14. Stift St. Stephan in Konstanz; 15. Stift St. Johann in Konstanz; 16. Stift St. Pelagius in Bischofszell; 17. Obermarchtal; 18. Kloster Zwiefalten.
Weltliche Bank:
1. Zürich; 2. Stadt Schaffhausen; 3. Stadt St. Gallen; 4. Herrschaft Emmishofen; 5. Hard und Rellingscher Freisitz; 6. Salenstein und Hubberg; 7. Stadt Stein am Rhein; 8. Herrschaft Griesenberg; 9. Herrschaft Berg; 10. Herrschaft Wellenberg und Hüttlingen; 11. Herrschaft Pfyn; 12. Blidegg; 13. Unter- und Oberneunforn; 14. Herrschaft Altenklingen; 15. Gündelhart; 16. Heidelberg; 17. Herrschaft Kefikon; 18. Herrschaft Steinegg; 19. Dettighofen und Schweikhof; 20. Öttlishausen; 21. Zihlschlacht; 22. Thurberg; 23. Herrschaft Oberaach; 24. Hefenhofen und Moos; 25. Stadt Bischofszell; 26. Herrschaft Wittenwil; 27. Freisitz Mammertshofen; 28. Freisitz Arenenberg; 29. Freisitz Bachtobel; 30. Freisitz Wolfsberg; 31. Herrschaft Hauptwil; 32. Mauren (Häberligericht); 33. Freisitz Neugüttingen; 34. Stadt Steckborn
Funktionäre des Gerichtsherrenstandes

Landeshauptleute

1619-1627 Hektor von Beroldingen, Gerichtsherr zu Gachnang und Gündelhart
1628-1653 Hans Jakob Blarer von Wartensee, Gerichtsherr zu Dozwil und Freihirten
1653-1665 Werner von Ulm, Gerichtsherr zu Griesenberg
1665-1696 Sebastian Luwig von Beroldingen, Gerichtsherr zu Sonnenberg
1696-1703 Baron Caspar Conrad von Beroldingen, Gerichtsherr zu Gündelhart
1703-1704 Baron Landschreiber Sebastian Anton von Reding von Biberegg, Gerichtsherr zu Klingenzell und Emmishofen
1704-1719 Baron Gall Antoni von Thurn-Valsassina, Gerichtsherr zu Berg und Obervogt zu Romanshorn
1723-1742 Junker Daniel Hermann Zollikofer, Gerichtsherr zu Castel und Hard
1742-1760 Baron Landschreiber Ludwig Wolfgang von Reding von Biberegg, Gerichtsherr zu Klingenzell, Emmishofen und Wittenwil
1761-1763 Junker Gerold Heinrich von Muralt, Gerichtsherr zu Öttlishausen und Zihlschlacht
1763-1798 Baron Karl Franz Ignaz von Wirz à Rudenz, Herr zu Tägerschen

Landesleutnants

1705-1723 Junker Wolf Dietrich von Breitenlandenberg zu Salenstein
1723-1742 Baron Remigius von Rüpplin zu Kefikon, Obervogt zu Frauenfeld
1742-1759 Junker Johannes Zollikofer ab Wolfsberg
1759-1760 Junker Gerold Heinrich von Muralt, Gerichtsherr zu Öettlishausen und Zihlschlacht
1761-1763 Junker Karl Franz Ignaz von Wirz à Rudenz, ab 1762 Gerichtsherr zu Tägerschen und Obervogt zu Frauenfeld
1763–1789 Junker Hartmann Friedrich von Breitenlandenberg ab Wolfsberg
1789-1798 Junker Franz von Muralt, Gerichtsherr zu Öttlishausen

Landesfähnriche

1700-1705 Junker Wolf Dietrich von Breitenlandenberg zu Salenstein
1706-1757 Baron Wolfgang Friedrich von Reding von Biberegg auf der Burg, Gerichtsherr zu Dettighofen
1759-1763 Junker Hartmann Friedrich von Breitenlandenberg ab Wolfsberg
1765-1775 Baron Felix Thaddäus von Rüpplin zu Kefikon, Gerichtsherr zu Wittenwil
1775-1789 Junker Franz von Muralt, Gerichtsherr zu Öttlishausen
1789-1794 Junker Lorenz Mayer von Baldegg, Herr zu Schloss Mammertshofen
1794-1798 Matthias Schulthess, Gerichtsherr zu Wittenwil
Gerichtsherrensekretäre

1607-1636 Kilian Kesselring, Von Bussnang
1636-1652 Benedikt Harder, von Wittenwil
1652-1671 Johann Ludwig Harder, von Wittenwil
1671-1681 Johann Chrysostomus Bridler, Von Bischofszell
1681-1684 Joseph Müller, von Wil
1684-1710 Wolfgang Schlatter, von Bischofszell
1710-1760 Joseph Antoni Harder, von Tägerschen
1760-1761 Johann Conrad Locher, von Frauenfeld (ad interim)
1761-1794 Johann Georg Anderwert, von Emmishofen, Oberamtmann von Münsterlingen
1794-1798 Joseph Anderwert, von Emmishofen, Oberamtmann von Münsterlingen
1798-1804 Adrian Anderwert, von Emmishofen, Klosterammann von Münsterlingen (provisorisch)
Bestandsgeschichte:Ab 1683 wurden die Protokolle des Gerichtsherrenstandes in Buchform gesammelt und offenbar beim Gerichtsherrenschreiber aufbewahrt. Die entsprechenden Protokollbände befanden sich um 1800 in den Händen des letzten Inhabers dieses Amtes, Adrian Anderwert von Emmishofen, und gelangten von da zu Pupikofers Zeiten auf unklaren Wegen in den Besitz von Verhörrichter Krapf von Reding, der dem Wunsch des Regierungsrates nach Ablieferung der Bücher nicht folgte, sondern diese einem Antiquar verkaufte. Schon am 12.06.1881 hielt Staatsarchivar Johannes Meyer fest, dass die Bemühungen, diese Protokollbände bei den Erben des Käufers (Prof. Rüttimann, Zürich) wieder zu finden, im Sande verlaufen waren. Sie gelten seither als verschollen.
Erste Hinweise auf die Existenz eines Archivs des Gerichtsherrenstandes stammen noch aus dem 15. Jh., ab 1653 scheint es am Sitz des jeweiligen Landeshauptmannes aufbewahrt worden zu sein. 1712 deponierte Baron von Thurn das Archiv beim Bischof von Konstanz. Die protestantischen Gerichtsherren erreichten erst 1726, dass der Bischof das Archiv herausrückte, womit es wiederum beim jeweiligen Landeshauptmann aufbewahrt wurde. Nach Auflösung des Gerichtsherrenstandes nach 1798 lag das Archiv noch 1804 beim letzten Landeshauptmann Carl Franz Ignaz von Wirz à Rudenz, der es laut einem Vergleich mit der thurgauischen Regierung vom 16. April 1804 (siehe StATG 0'7, 0/165) vorläufig behalten sollte, aber aufgefordert wurde, ein Verzeichnis der Akten zu erstellen und dieses an Herrn Muralt von Oetlishausen abzuliefern. Im 19. und frühen 20. Jahrhundert wechselte das einstige Gerichtsherrenstandsarchiv mehrmals den Besitzer und galt schliesslich und für lange Zeit ebenfalls als verschollen, bis sich in den 1980er Jahren herausstellte, dass sich der Kernbestand von Urkunden und Akten als Teil des Familienarchivs der Familie von Streng erhalten hatte.
Über die verschiedenen Hinweise auf Standorte und Verwendung des Archivs des Thurgauischen Gerichtsherrenstands vor und nach 1798 berichtet ausführlich: Giger, Bruno: Gerichtsherren, Gerichtsherrschaften, Gerichtsherrenstand im Thurgau vom Ausgang des Spätmittelalters bis in die frühe Neuzeit, Diss. phil. I (Zürich), in: TB 130 (1993), S. 205-211 (Anhang I).

Unter der Signatur GLA Karlsruhe 82/16 existiert aus dem Jahre 1704 ein Verzeichnis des Archivs, das ziemlich genau dem heutigen Bestand entspricht. Es sind also keine grösseren Verluste seit 1704 zu beklagen.

Der über mehrere Erbgänge im 19. und 20. Jahrhundert weiter gegebene Bestand wurde am 3. September 1999 ins Staatsarchiv des Kantons Thurgau übernommen und 2002/03 durch Doris Stöckly mit einem provisorischen Findmittel erschlossen. Im Oktober 2009 wurde dieses provisorische Findmittel von Hannes Steiner gemäss den zwischenzeitlich definierten Erschliessungsnormen für das Staatsarchiv des Kantons Thurgau ergänzt und vereinheitlicht und in die Archivdatenbank übertragen.
Die Basis für die ganze Erschliessung bildete ein Verzeichnis von Bruno Giger aus der Zeit um 1990. Das ganze Archiv ist mehrmals neu geordnet und umsigniert worden, wovon zum Teil mehrere gestrichene und korrigierte alte Signaturen auf den Dokumenten zeugen. Die zuletzt gültigen Signaturen, handschriftlich mit Tinte von mehreren Händen aufgetragen, verzeichneten diese mit wenigen Ausnahmen chronologisch und entsprechen den Signaturen des Verzeichnisses von 1704. Diese Ordnung, die beim Eintreffen der Dokumente im StATG noch weitgehend bestand, wurde bei den neuesten Ordnungsarbeiten möglichst beibehalten, und die alten Signaturen sind nur an wenigen Orten durch Unternummern ergänzt worden, um jedes Dokument einzeln bezeichnen zu können. Einzelne Dokumente, die eine alte Signatur zeigen, aber chronologisch eingeordnet waren, wurden entsprechend der alten, nicht gestrichenen Signatur - ungeachtet der Chronologie - umplaziert. Die wenigen verbleibenden Lücken in der numerischen Reihenfolge der Signaturen könnten auf Verluste nach 1804 hinweisen. Für die Bestandesgeschichte bedeutsamer ist aber die Tatsache, dass die Urkunden- und Aktenablage zwischen 1690 und 1740 fast völlig aufhört.
2018 wurde der Bestand von der Abteilung Bestandserhaltung komplett restauriert und neu verpackt.
Der Bestand wurde von Martin Polt digitalisiert und 2021 ins digitale Staatsarchiv importiert. Der Arbeitsaufwand für die Importarbeiten betrug 5 Stunden.

Sachverwandte Unterlagen:

Veröffentlichungen:Archiv

Giger, Bruno: Gerichtsherren, Gerichtsherrschaften, Gerichtsherrenstand im Thurgau vom Ausgang des Spätmittelalters bis in die frühe Neuzeit, Diss. phil. I (Zürich), in: TB 130 (1993), S. 205-211 (Anhang I).

Salathé, André: Besuch im Museum des Spätmittelalters. Zur Rückkehr des kleinen, aber gewichtigen Archivs des Thurgauischen Gerichtsherrenstandes in den Kanton, in: Thurgauer Zeitung, 3. September 1999, S. 2.


Gerichtsherrenstand

Giger, Bruno: Gerichtsherren, Gerichtsherrschaften, Gerichtsherrenstand im Thurgau vom Ausgang des Spätmittelalters bis in die frühe Neuzeit, Diss. phil. I (Zürich), in: TB 130 (1993), S. 5-216.

Lei, Hermann: Der thurgauische Gerichtsherrenstand im 18. Jahrhundert. Ein Beispiel korporativer Freiheit in einer Gemeinen Herrschaft der Alten Eidgenossenschaft, Diss. phil. I (Zürich), Frauenfeld 1963; zugleich in: TB 99 (1962), S. 1-177.
 

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